MBMC: Mercedes Benz 710 SS zwischenzeitlich ein Diesel

Der Mercedes-Benz (W06), Typ 710 SS, Cabriolet C (1929)

Fahrgestell: Nr. 36273, ursprünglicher Motor: Nr. 77628,

Aufbau: Werk Sindelfingen: Nr. 924645.


Das Modell: Ilario bringt in diesen Tagen das Modell des Mercedes-Benz Typ 710 SS (W06) heraus. Wie nicht anders zu erwarten ist es ein schönes, wirklich gelungenes Modell. Das Modell ist ein extrem genaues, dem  Vorbild entsprechendes Modell eines Mercedes 710SS im Maßstab 1:43, vielleicht das beste unter den besten, die Ilario bisher gebaut hat, und sollte ein besonderes Ausstellungsstück in einer jeden Sammlung sein. Der Verkaufspreis liegt um die 300 € (+ Versand).

Übersetzung der Pressemitteilung mit www.DeepL.com/Translator (Gratis-Version)


Ein wenig Geschichte: Dieser Mercedes-Benz 710 Typ SS (W06), gebaut 1929 in einer Cabriolet C Ausführung mit Rechtslenkung, wurde am 5. Juli 1929 von der British Mercedes Ltd. in London von Daimler-Benz in Stuttgart für einen Kunden bestellt. Hier nun der Werdegang des Wagens, insoweit sich dieser mit einiger Genauigkeit, aber leider nicht lückenlos rekonstruieren ließ.

Am 26. November 1929 geht der Wagen von Untertürkheim nach Sindelfingen und von dort am 22. Januar 1930, zurück nach Untertürkheim, anschließend wird er von dort am 24. Januar 1930 nach London verschifft, wo der Mercedes am 18 Februar 1930 ankommt. Von dort aus wurde der 710SS „per Achse“ – wie es im Kommissionsbuch steht – seinem ersten Besitzer, einem Major Sprigg, Direktor des „Car Mart“ in London, geliefert. Vielleicht heißt es im Kommissionsbuch „per Achse“, weil Major Sprigg seinen Wagen statt zu seiner Londoner Anschrift den Wagen direkt zu seinem Wochenendhaus, seinem Cottage, liefern ließ. Wer so viel Geld hat, dass er sich ein 44.000 RM teures Cabriolet C kaufen kann, damals nicht nur der teuerste Wagen der 710SS Reihe, sondern der teuerste Mercedes-Benz seiner Zeit überhaupt, der hat sicherlich auch ein Landhaus außerhalb Londons…also, das mag möglicherweise eine Erklärung für die Bezeichnung „per Achse“ sein.
Für seinen neuen Sportwagen, der in opalisierendem Hellblau erstrahlt, erhält Major Sprigg das Nummernschild GH4530.

Wie lange Major Spriggs seinen Mercedes hatte, wissen wir nicht, aber 1938 war der Wagen im Besitz des Managers des Claridge Hotels in London.

Claridge’s London – Eingangsbereich, 1930

Dieser ließ die Karosserie des 710 SS durch die „Corsica Bodyworks“ entweder nach dem Geschmack der Zeit oder nach seinen eigenen Vorstellungen „modernisieren“. Heute gäbe es angesichts des Ergebnisses einen einzigen Aufschrei: „Das ist ein Skandal !!“.

Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass damals der Mercedes-Benz 710SS zumindest für eine gewisse Bevölkerungsschicht in England ein „Gebrauchsgegenstand“ für den Alltag war, und nicht wie heutzutage, ein äußerst seltenes technisches und ästhetisches Kunstwerk zum Bewundern und Sammeln. Und wer will denn schon altmodisch und nicht modern sein??? Also lasst uns dem „Claridge“ Direktor seine Sünden“ vergeben, denn er wusste nicht, was er tat.

So bekamen Heck und Kotflügel eine andere Form, die Lenkung wurde zu einer leichtgängigen umgebaut, der Wagen bekam zwei zusätzliche Scheinwerfer auf Stoßstangenhöhe angepasst, auf beiden Türen einen kleinen Mercedes-Stern, und zu guter Letzt wurde er in metallisch Bronze lackiert.

Dann kauft irgendwann ein gewisser Dick Wilkins den 710SS dem Hotelmanager ab. Von 1941 bis 1945 ist der Wagen im Besitz eines C.W.P. Hampton, den dieser von seinem guten Freund Dick Wilkens erwarb. Im Jahre 1945 wird dann der Wagen von Mr. Hampton an einen Mr. Wright, wohnhaft in London N6, verkauft.

1949 geht der Wagen nach Nottingham zu Beardall Motors Ltd. Hier wird sein Benzin-Motor gegen einen 7,7 Liter Dieselmotor der Firma Leyland ausgetauscht. Hierzu muss man sich vergegenwärtigen, dass in England wie überall in Europa mit Kriegsanfang das Benzin stark rationiert, und wenn überhaupt, nur auf „Marken“ zu bekommen war. Ab 1942 gab es für die Zivilbevölkerung überhaupt keine Möglichkeit mehr zu Benzin zu kommen, es sei denn dank einer Sondergenehmigung. Diese Rationierung wurde nach dem Krieg nach und nach langsam gelockert und erst 1950 aufgehoben. Außerdem wurde auf den Kauf eines mit Dieselmotor ausgestatteten Wagens keine „purchase tax“ (wörtlich „Verkaufssteuer“– ein Vorgänger der VAT, also der Mehrwertsteuer) erhoben, wie Beardalls Katalog hervorhebt. Zugleich kann man sich vorstellen, wie teuer bei einem Verbrauch von 27 Liter Benzin per 100 Km und damals 1949 einem Jahresdurchschnittspreis von 25,75 Pence per britische Gallone (36,25 Pence im darauffolgenden Jahr 1950) das Fahren in einem Benziner-710 SS geworden war, verglichen mit dem Preis von nur 16,50 Pence per Gallone Benzin im Jahre 1930, als der Wagen in London ankam, und vor allem auch verglichen mit dem niedrigeren Diesel-Preis und Verbrauch eines Leylands-Dieselmotors, Motor von dem die Firma Beardall übrigens auf dem Titelblatt ihres Katalogs immerhin eine Spitzengeschwindigkeit von 100 Meilen/Stunde – also ugf. 150 km/Std.- versprach!

Äußerlich wenig verändert, wird der umgebaute Wagen von Beardall Motors als ein „Merley“, eine Promenadenmischung aus Mercedes und Leyland (!), angepriesen, und Anfang 1950 von einem Mr. S.T. Lenton aus Coventry gekauft. Dann scheint der Eigentümer ein gewisser Arliss zu sein. Der Wagen hat jetzt das Kennzeichen KVO 950. Im August 1950 wird der Wagen von einem A.J. Redgate aus dem Nottinghamshire erworben.

In einer zeitgenössischen Beschreibung heißt es, der Wagen sei „französisch grau mit burgunderroter Motorhaube und roter Lederpolsterung“ lackiert. Einer damaligen Aufnahme entsprechend, möchte man allerdings meinen, die Motorhaube und die Kotflügel seien grau gewesen, der Rest des Wagens burgunderrot. Die Polsterung mag durchaus rot gewesen sein.

Dann verliert sich die Spur des Cabriolets bis 1978 als der Wagen, mehr oder weniger ein Wrack, von „Coy’s of Kensington“ (aus London) in der „Auto und Motorrad Chronik“ in einer Anzeige angeboten wird, mit dem Hinweis, dass der Wagen einer kompletten Restaurierung bedürfe. Gleichzeitig sucht Coy’s nach Motor und Getriebe für einen S oder SS Wagen, und ist bereits jedes Geld dafür zu zahlen.

Das hieße, zu der Zeit hatte der Wagen entweder gar keinen oder immer noch seinen Diesel-Motor unter der Haube…

Einige Jahre später, im September 1991, erscheint in der Zeitschrift „Motor Klassik“ eine irreführende Anzeige, in der der scheinbar restaurierte Mercedes Typ SS Cabriolet C abgebildet ist, und der Wagen zu einem unverschämten Preis angeboten wird. In Wirklichkeit befand sich der Wagen in mehr oder weniger genau dem Zustand des Wracks, das Coy’s of Kensington 1978 zum Verkauf angeboten hatte, nur ohne Motor. Dennoch fand sich ein Käufer (der allerdings nicht den geforderten Preis zahlte), der sich daran machte, einen geeigneten Typ SS-Motor zu finden und einzubauen.

Gehen wir kurz in der Zeit zurück: Der ursprüngliche Motor, der 1949 (oder 1950) durch einen Leyland-Dieselmotor ersetzt worden war, wurde aufbewahrt, und wahrscheinlich an einen Mercedes-Händler verkauft.
Es stellt sich heraus, dass 1948 ein Mr. Dowd in Melbourne (Australien) einen Mercedes SS Tourer mit der Motornummer 77630 kaufte, und aus England importierte. Wahrscheinlich, weil es sehr schwierig sein würde, einen zu finden, wenn man einen bräuchte, kaufte Mr. Dowd sein Auto einschließlich eines kompletten Ersatzmotors mit der Nr. 77628, genau dem Motor, der ursprünglich ab Werk in das 710 SS Cabriolet C, Chassis 36273, eingebaut war!!!

Auto und Ersatzmotor wechselten irgendwann den Besitzer, der nächste Besitzer war ein Trevor Willey, ebenfalls aus Melbourne, gefolgt von einem Mr. Jack Jeffery, der den Tourer und den Ersatzmotor noch 1962 besaß.
Das Cabriolet C fand seinen Weg zurück nach Deutschland, nicht mit dem „richtigen“ Motor No. 77628, sondern mit dem Motor No. 77632 ausgestattet, und wurde schließlich vom heutigen Besitzer erworben, der den Rechtslenker komplett zerlegen, und von Grund auf bis ins kleinste Detail akribisch in den Originalzustand zurückversetzen ließ. Er war jedoch nicht damit zufrieden, dass sein Auto zwar wunderschön restauriert war, ihm aber der Originalmotor fehlte, und begab sich auf eine lange Suche. Mit unglaublichem Glück entdeckte er, dass der Motor Nr. 77268 Anfang der siebziger Jahre nach Deutschland zurückgekehrt, und in einen anderen Mercedes eingebaut worden war, den er letztlich – nur des Motors wegen – erwerben konnte.

Und nun ist das Cabriolet C (W06), Typ SS, wieder absolut authentisch, da es mit seinem Originalmotor wiedervereint wurde.

Das prächtig aussehende, frisch restaurierte 710 SS Cabriolet erhielt prompt (meiner Meinung nach leider nur) den zweiten Preis der Klasse I-2 „Celebrating 125 Years of Mercedes-Benz – Classic“ beim „Concours d’Élégance“ 2011 in Pebble Beach (Kalifornien).

Und ich bin mir ziemlich sicher, dass der stolze Besitzer das Auto nicht verkaufen wird – um keinen Preis!


Quellen: Mercedes-Benz AG; Fahrzeugbesitzer; verschiedene Andere.

Fotos: © René Staud Studios, © Ilario Chiera, Auto und Motorrad Chronik, Motor Klassik und Andere.