von Stefan Röhrig
Nach dem ersten Teil geht es mit Teil 2 weiter mit dem W123 durch Italien:
Es geht in die Region Umbrien mit dem ersten Halt in Gubbio, einer festungsartigen Stadt mitten in den Bergen. Nach einem nur kurzen Aufenthalt fahren wir weiter, und in 60 Minuten erreichen wir Perugia, die Hauptstadt Umbriens. Schon von weitem können wir die große Stadt ausmachen, wie sie sich malerisch über einen Bergrücken zieht. Bevor wir die Innenstadt besichtigen, müssen wir zuerst einen Parkplatz suchen. Es ist schon erstaunlich, welche architektonischen Lösungen den Italienern für das Abstellen von Fahrzeugen einfallen. Dieses Mal ist das mehrgeschossige Gebäude halb in den Berg eingelassen, wie üblich mit sehr enger Ein- und Ausfahrt. Nachdem wir uns endlich in einen Stellplatz gequetscht haben, geht es über eine Wendeltreppe nach oben. Und dann, welch ein imposanter Anblick!
Direkt vor uns erhebt sich das gewaltige Stadttor „Arco Etrusco“, erbaut im 3. Jahrhundert v. Chr. Eine mächtige Einlasspforte, wie sie nur für bedeutende Städte erbaut wurden. Durch enge, steile Gassen marschieren wir bergauf, dann geht es entlang einer riesigen Mauer, das Fundament des Doms – wie wir später sehen – und die Straße öffnet sich zu einem beeindruckenden Platz. Diese Piazza IV Novembre bildet den Mittelpunkt von Perugias Oberstadt, sie ist von großen Palazzi umgeben und besitzt als Krönung in ihrer Mitte den Fontana Maggiore, einen prächtigen, quasi dreigeschossigen Brunnen aus dem 14. Jahrhundert.
Das Wetter zeigt sich von seiner guten Seite, sodass wir mit Muße über den großen Corso Vanucci mit seinen wunderschönen Geschäften, Cafés und Restaurants schlendern. Diese Prachtstraße endet an einer terrassenartigen Promenade, die sich über den tiefer gelegenen Teil der Stadt entlang zieht und einen tollen Ausblick auf die Landschaft des Apennins bietet.
Wieder einer der Orte, an denen wir eigentlich gerne länger bleiben würden, aber wir wollen ja zügig weiter Richtung Ascoli Piceno. Wegen einer Straßensperrung geht es an Assisi, das sicherlich einen Aufenthalt wert gewesen wäre, vorbei und ohne Aufenthalt weiter nach Spello. Auch dieses Bergdorf zeigt sich nicht nur malerisch, sondern äußerst sauber und gepflegt. Nette Geschäfte mit kleinen Schweinereien – Schinken, Würste, appetitliche Käse, vor allem der berühmte Trüffel – Boutiquen mit handwerklichen Artikeln aus lokaler Fertigung und malerische Restaurants präsentieren sich so, wie man Italien aus dem Prospekt kennt.
Nachdem wir auf dem Marktplatz ein Eis gegessen haben, machen wir uns auf nach Spoleto. Zuerst kommt uns die Stadt wenig interessant vor. Bereits auf dem Weg zurück zum Auto, entdeckt meine Frau eine gigantische Rolltreppen-Anlage, die uns dann bequem über mehrere hundert Höhenmeter auf den Berg mit Dom, Altstadt und Burg transportiert.
Dieser Weg hat sich mehr als gelohnt. Von der Altstadt kommend führt eine große, abschüssige Freitreppe zum Dom, ein insgesamt sehr gelungenes architektonisches Ensemble.
Der Ausblick vom Plateau ist fantastisch. Man blickt zum einen auf die untere Stadt und das Tal, zum anderen auf die sich auf der Bergspitze befindende päpstliche Burganlage und die darunter liegende „Brücke der Türme“, ein riesiges Viadukt aus dem Mittelalter. Zurück zum Fahrzeug – natürlich über die Rolltreppen – begeben wir uns auf eine der beeindruckendsten Etappen unserer Reise. Es geht 100 Kilometer durch die wilde Berglandschaft des Nationalparks Monti Sibillini, teilweise sehr karg und dann wieder dicht bewaldet. Es ist auffallend, dass ein Teil der Straßen brandneu ist, andere im üblen Zustand. Einige der Straßen sind in Schluchten abgesackt, andere haben tiefe Risse oder sind nur notdürftig repariert. Plötzliche, markante Umleitungen lassen uns daran zweifeln, ob wir überhaupt auf dem richtigen Weg sind. Nur selten kommt uns ein Fahrzeug entgegen. Das einzige Lebenszeichen sind immer wieder kleine Bautrupps, die sich mit der Ausbesserung der Straßen abmühen. Je mehr wir uns dem Ort Arquata del Tronto nähern, desto schlimmer werden die Verwüstungen. Erst als wir zahlreiche zusammengefallene Häuser am Straßenrand und teilweise zerstörte Dörfer auf den Anhöhen sehen, wird uns klar, dass wir uns in einem Erdbebengebiet befinden.
Das Ausmaß der Zerstörungen und die offensichtliche Wucht des Bebens machen uns sprachlos. Am späten Nachmittag erreichen wir Ascoli Piceno (IMG_3305a), wo sich die Suche nach dem gebuchten Hotel etwas schwierig gestaltet.
Schließlich mache ich mich zu Fuß auf den Weg, um so unsere im Zentrum der Altstadt in einem alten Herrenhaus befindliche Unterkunft auszukundschaften. Den Wagen bugsiert ich dann durch schmale Gässchen zum Hotelparkplatz, mit Schweiß auf der Stirn und einem panikartigen Gefühl, dass die Gassen zu schmal werden könnten und ich rückwärts umkehren müsse. Gott sei Dank geht dieser Kelch an mir vorüber. Im Gespräch mit der Rezeptionistin des Hotels berichten wir über die durchfahrene Erdbebenregion. Sie erklärt uns, dass sich Ascoli Piceno im Zentrum dieser Region befinde, wir aber keine Angst haben müssen, da der Schutzpatron der Stadt – der heilige Emidio – bisher jedwede Zerstörung verhindert habe. Den abendlichen Bummel durch die sehenswerte Altstadt mit zwei malerischen Plätzen beenden wir aufgrund einsetzenden Regens bald im berühmten Caffé Meletti, in dem neben exotischen Cocktails auch die von hier stammenden, in ganz Italien geschätzten Olive all’ascolana serviert werden. Uns schmecken diese mit Fleischgefüllten und frittierten Oliven allerdings nicht besonders.
Auch am nächsten Morgen können wir zu unserer Enttäuschung keine wesentliche Wetterbesserung feststellen. Wir entschließen uns deshalb bei der Tagesplanung, den Gargano links liegen zu lassen. Dieses hügelige, bewaldete Vorgebirge Apuliens bildet den Sporn des italienischen Stiefels und soll landschaftlich äußerst attraktiv sein. Die korrigierte Strecke führt uns zuerst wieder ans Meer nach Martinsicuro. Die Straße ist schnurgerade und kilometerlang von hohem Schilf gesäumt. Heute ist der 1. Mai, der auch in Italien ein Feiertag ist. Auf der Strecke kommt es zu einigen Stauungen, da uns hunderte Radfahrer entgegenkommen, die an einem Straßenrennen teilnehmen. Zum Entsetzen meiner Frau („Das gibt’s doch gar nicht!“) haben sich an diesem Straßenabschnitt über eine lange Strecke in regelmäßigen Abständen Prostituierte niedergelassen. Auf kleinen Hockern – teilweise wegen der Kälte an Holzkohlefeuern – warten sie offensichtlich auf Kundschaft. Zuerst ist meine Gattin noch gutgläubig der Annahme, es handele sich um Betreuungspersonal für das Radrennen, aber die Art der Kleidung sowie die Gestik sind dann doch eindeutig. Martinsicuro ist ein kleiner Touristenort, der zu dieser Jahreszeit fast tot ist. Die vielen Cafès sind geschlossen, der Strand, auch hier wie fast an der gesamten Adriaküste feinster Sand, menschenleer.
Nach einigen Kilometern an der Küste entlang kommen wir wieder in eine hügelige Gegend, und nach der Überquerung des schönen Flusses Vomano führt ein kurviges Sträßchen vorbei an malerischen Feldern und Gärten zu der in den Bergen gelegenen Stadt Atri.
Auf dem Platz vor der wuchtigen Kirche herrscht große Aufregung.
Es haben sich hunderte Menschen versammelt, um, wie wir dann erfahren, eine Firmungsfeier zu begehen. Nachdem wir erneut die schöne Aussicht über die Abruzzen bis zum etliche Kilometer entfernten Meer genossen haben, geht es weiter an Pescara vorbei zu einer Mittagspause nach Vasto. Die kleine Stadt liegt an der Küste etwas oberhalb vom Meer.
Auch hier fällt uns erneut auf, wie sauber und gepflegt die Orte sind.
Von Vasto haben wir dann noch zwei Stunden Fahrt bis um Tagesziel. Dieser Abschnitt, die ersten Kilometer in der Region Apulien, ist wunderbar und ein Genuss zum Fahren. Nach einigen Kilometern die Küste entlang durchqueren wir eine Tiefebene, stark landwirtschaftlich genutzt mit großen Olivenhainen, Obstbäumen und Weinfeldern.
Die Straßen sind leer und sehr übersichtlich. Der 280 E ist in seinem Element und freut sich, dass ich ihn hier mal richtig fliegen lassen kann. Nach einer über 300 Kilometer langen Tagesetappe erreichen wir dann etwas müde Lucera. Meine Frau notiert dazu im Reisekalender: „Der Ort war nicht schön, bis auf den Dom“. Wie immer hat sie Recht.