Stand Sicherheit wirklich immer im Mittelpunkt von Bela Barenyis Überlgungen?

Von Daniel Strohl am 16.Oktober 2020 übersetzt und erweitert von Martin Schröder

Vom Modulfahrzeug zur Knautschzone – Welche Rolle spielte die Sicherheit bei Bela Barenyis Überlegungen für die Knautschzone?

Zeichnungen aus verschiedenen Barenyi-Patenschriften

Ist es Nils Bohlins Sicherheitsgurt, der unzählige Verletzte und Tote bei Autounfällen verhindert, so ist es Bela Barenyis Knautschzone, die eingebaute energieverzehrende Karosseriestruktur, die das Auto zerstören mag, die Insassen aber am Leben lässt. Barenyi

Verwaltete Erfindungen: Béla Barényi in seinem Privatarchiv

hat unzählige Auszeichnungen für seine Arbeit über Knautschzonen und andere Elemente der Fahrzeugsicherheit erhalten. Eine Überprüfung mehrerer seiner Patente, die zum Knautschzonenkonzept hingeführt haben, legt allerdings nahe, dass die Sicherheit möglicherweise erst viel später in diesem Prozess eine beherrschende Rolle gespielt hat.

Zusammen mit Josef Ganz verbrachte Barenyi in den zwanziger und dreißiger Jahren einen großen Teil seiner Zeit damit, sich Gedanken über die Zukunft des Automobils zu machen. Und einer seiner frühesten Entwürfe – fertiggestellt, als er 18 Jahre alt war – schlug ein Fahrgestell mit Zentralrohrrahmen und einem Vierzylinderboxermotor im Heck vor.

Zeichnung Bela Barenyi 1925

Obwohl Barenyi die Ansicht vertrat, Elemente von Porsches Konstruktion vorweggenommen zu haben, die zum Volkswagen Käfer geführt haben, wandte er sich kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einem anderen Konzept zu, auf das er sich mehrere Jahre lang konzentrieren sollte: dem Zellen- oder Modulfahrzeug.

Barenyis Projekt Terracruiser vom 11. August 1948

Den Pressematerialien von Mercedes-Benz zufolge kam Barenyi 1937 erstmals auf die Idee eines Modulfahrzeugs mit Knautschzonen, einige Jahre vor seinem ersten Einsatz bei Daimler-Benz. Aber erst nach dem Krieg kehrte er als unabhängiger Konstrukteur zum Modulfahrzeug zurück. Zwei der Konzepte, die er zu dieser Zeit entwarf – der sechssitzige Terracruiser und der dreisitzige Concadoro – sahen nicht nur den Heckmotor, die umlaufenden Stoßstangen, die Karosserieform und die zentrale Lenkung vor, sondern auch den Aufbau der Fahrzeuge aus drei getrennten modularen Komponenten: jeweils ein vorderes und ein hinteres Bauteil zur Unterbringung von Aufhängung, Lenkung, Motor und Transaxle sowie die zentrale Fahrgastzelle.

Holzmofell des Terracruisers

Wie Mercedes-Benz betont, ähnelt die Struktur der Fahrzeugzellen dem Knautschzonenkonzept sehr stark, wie es Barenyi Daimler-Benz später vorgeschlagen hat: ein Konzept, das von einer steifen zentralen Fahrgastzelle ausging, flankiert von verformbaren Vorder- und Hinterzellen, die die Aufprallenergie bei einem Unfall absorbieren sollten. Wenige Jahre nachdem Barenyi 1948 zu Daimler zurückgekehrt war, patentierte das Unternehmen die Knautschzonen-Idee und setzte sie teilweise im Mercedes-Benz 180 von 1953 um.

Würden wir die Mercedes-Benz Veröffentlichungen wörtlich nehmen, dann würden wir glauben, dass der Patent-Motorwagen von Karl Benz das erste Automobil war (das war er nicht) und dass Mercedes-Benz die Urheberschaft für Silber als nationale Rennfarbe Deutschlands hat (dem ist nicht so), also
sollten wir Mercedes-Benz auch nicht als alleinige Quelle für die Geschichte über Barenyi und die Knautschzone verwenden.

Skizze für Steckvernindungen

Lassen Sie uns stattdessen einen Blick auf die Patentschriften werfen. Barenyi ist dafür bekannt, dass er Hunderte, wenn nicht Tausende von Patenten hält, die sich meist auf Körper, Türen und Sitzanordnungen beziehen. Einige von ihnen sind erfindungsreich, wie seine Schiebe- und abnehmbaren Türen (3093406), sein Flip-Top-Auto (2785921) und seine stoßdämpfenden Stoßfänger (3904237). Außerdem meldete er in einem Zeitraum von einem Monat zwischen Dezember 1949 und Januar 1950 eine Flut von Patenten an, die sich auf verschiedene Komponenten seines modularen Fahrzeugs bezogen. Das Patent für die Methode zur Verbindung der verschiedenen Zellen (2678231) enthält einige grundlegende Beschreibungen der Idee.
Die Anwendung der sogenannten zellartigen Struktur ermöglicht eine besonders wirtschaftliche Herstellung von Kraftfahrzeugen. Die getrennte Herstellung von Fahrzeugbauteilen für die spätere Endmontage eines kompletten Kraftfahrzeuges ermöglicht es, durch einfaches Austauschen z.B. verschiedener Fahrzeugteile (wie Heck- und Frontteile), die an einem Front-, Mittel- und Heckteil eines Fahrzeuges montiert werden können, aus einer geringen Anzahl von Bauteiltypen für das Front-, Mittel- oder Heckteil eine beträchtliche Anzahl von Fahrzeugtypen herzustellen. (Bei VW heißt das heute Modularer Querbaukasten MQB.) Außerdem können zwei motorgetriebene Lenkungsabschnitte an einer Karosserie angebracht werden, um ein Fahrzeug zu erhalten, das in beide Richtungen gefahren werden kann. Weiterhin können zwei motorgetriebene Sektionen an einem Aufbau angebracht werden, was wünschenswert ist, wenn das Fahrzeug mit Eisenbahnrädern ausgerüstet und als Triebwagen auf einer Eisenbahnstrecke betrieben werden soll.

Hauptziel allerdings ist eine weitere Vereinfachung und eine noch größere Wirtschaftlichkeit bei der Herstellung und beim Zusammenbau von MOdulfahrzeugen. Wesentliches Merkmal der Erfindung ist demnach
ökonomischer Natur, nämlich, dass bei einem Kraftfahrzeug, das (mindestens) ein Mittelteil und zwei Endteile aufweist, die beiden Endteile an dem Mittelteil so befestigt sind, dass sie austauschbar sind. Eine solche austauschbare Befestigung hat vor allem den Vorteil, dass für die Herstellung der Verbindungen für die vorderen und hinteren Teile die gleichen Vorrichtungen, Maschinen, Werkzeuge usw. verwendet werden können, was eine erhebliche Einsparung bei der Herstellung und Reparatur von Fahrzeugen bedeutet.

Skizze aus Paptentschrift

Daher dachte er, dass die Herstellung von Modulfahrzeugen billiger sei als die von normalen Autos. Von einer starren Fahrgastzelle, flankiert von verformbaren Front- und Heckzellen ist allerdings keine Rede. Dasselbe gilt für Barenyis Patent für das Modulfahrzeug im Allgemeinen (2710770) und die Konstruktion der mittleren Fahrgastzelle (2880032): „Gegenstand der vorliegenden Erfindung ist es, ein Kraftfahrzeug bereitzustellen, bei dem die Fahrzeugkarosserie in zwei Abschnitten gebildet wird, so dass die Anzahl der Strukturelemente und die Kosten, die mit der für die Verbindung des oberen und unteren Abschnitts erforderlichen Werkzeugausrüstung verbunden sind, stark reduziert werden können, um dadurch bei der Herstellung von Fahrzeugkarosserien erheblich zu sparen, insbesondere bei gleichzeitiger Verwendung des modularen Fertigungssystems. Ein weiterer Gegenstand der vorliegenden Erfindung ist die Verringerung der Anzahl der Ersatzteile, die notwendigerweise auf Lager gehalten werden müssen.“

Auch hier spielt die Sicherheit keine Rede. In ähnlicher Weise wird in Barenyis Patent für ein Gelenkzellenfahrzeug (2716040) die einfache Konstruktion ausdrücklich als eines der Hauptziele genannt. Wenn wir in Barenyis Patentbestand weiter herumstochern, sehen wir sogar ein späteres Patent (2757447), das ganz seiner spezifischen Vision für den Zusammenbau von zellartigen Fahrzeugen gewidmet ist.

Hinging würde nicht nur die Montage erleichtern, sondern auch bei der Federung der Aufhängung helfen, argumentierte Barenyi.

Offensichtlich zielen zwei von Barenyis Patenten aus dieser Vielzahl daraufhin, seine Urheberschaft für das zellenartige Modulfahrzeug untermauern (2702206). Weitere Patente beschreiben einen ähnlichen, wiegenähnlichen Fahrgastraum (2710222) und den Boden der Fahrgastzelle, in denen auf „große Steifigkeit“ und „eine Autokarosserie mit einer besonders steifen Struktur“ verwiesen wird. Auch hier ist keine ausdrückliche Erwähnung der Verwendung dieser Steifigkeit oder steifen Struktur zum Schutz der Insassen der Zelle enthalten.
(Bemerkenswert ist hier Barenyis späteres Patent (2986419) für eine automobile „Leitplanke“, die als überlebenswichtige Komponente das Auto mit einem großen Gummiband umgürtet, das, wie Barenyi argumentierte, auch das primäre Mittel sein könnte, um die Zellen des Autos aneinander befestigt zu halten).

Handskizze Bela Barenyi 24.02.1950

Der beste Beweis dafür, dass keines dieser modularen Fahrzeugpatente etwas mit Sicherheit zu tun hatte, kommt jedoch von Mercedes-Benz selbst. Nach Angaben von Mercedes-Benz war die obige Skizze von Barenyi seine erste, die Knautschzonen vorschlug. Und wie wir aus dem Datum ersehen können, kam Barenyi Ende Februar 1950 auf die Idee, etwa einen Monat, nachdem er seine Patente für das Zellenfahrzeug angemeldet hatte. Ein Jahr später und Barenyi patentierte auch die Knautschzonen-Idee (Deutsches Patent 854157).

Angesichts der drei getrennten Abschnitte in der Februar-Skizze ist es klar, dass Barenyi noch immer in Bezug auf Zellen und deren Nutzen für den Automobilbau dachte. (Und angesichts der verschiedenen anderen Patente, die er in den folgenden Jahren anmeldete, hörte er danach noch eine ganze Weile nicht auf, über zellartige Fahrzeuge nachzudenken).

  • Was geschah also in jenem Monat zwischen der Anmeldung der Patente für zellartige Fahrzeuge und der Skizze der Knautschzone?
  • Wie kam er zu der Erkenntnis, dass Zellen die ideale Plattform für ein sichereres Fahrzeug bilden würden?
  • Was inspirierte ihn dazu, auch nur in Bezug auf die Fahrzeugsicherheit und nicht auf die Produktionseffizienz zu denken?
  • Und warum schien niemand Barenyis Idee eines modularen Autos ernst zu nehmen? Barenyis „VW Skizze“