ADAC: Formfehler ist allerdings kein Freibrief für Raser!
Wegen eines Formfehlers im Gesetzestext der Straßenverkehrsordnung (StVO) sind wahrscheinlich nicht nur die neuen Fahrverbotsregeln unwirksam, sondern alle Änderungen des Bußgeldkatalogs vom April 2020. Nicht betroffen sind die Verhaltensregeln der StVO etwa in Bezug auf den Schutz von Radfahrern.
ADAC Verkehrspräsident: StVO schießt übers Ziel hinaus
Mit der neuen StVO sollten eigentlich Radfahrer und Fußgänger besser geschützt werden. „Das begrüßen wir ausdrücklich“, sagte Hillebrand, „aber die deutliche Erhöhung von Bußgeldern und das frühere Verhängen von Fahrverboten auch auf Autobahnen schießt über das Ziel hinaus.“
ADAC Juristen haben alle wichtigen Infos zusammengestellt:
- Verkehrsvorschriften müssen aus Gründen der Verkehrssicherheit unbedingt eingehalten werden
- Erste Bundesländer weisen Behörden an, den alten Bußgeldkatalog für alle offenen Verfahren anzuwenden
- Bundeseinheitliche Handhabung für offene Bußgeldverfahren muss gewährleistet werden
Nach langer Diskussion hatten sich Bundesregierung und Länder 2020 auf eine Reform der Straßenverkehrsordnung geeinigt. In Kraft getreten ist die neue StVO Ende April. Die neuen Verkehrsregeln sollen Fahrradfahrer besser schützen, außerdem sehen sie höhere Strafen für viele Verkehrsvergehen vor.
Bußgeldänderungen nichtig – Verhaltensregeln der StVO nicht betroffen!
Wahrscheinlich sind nicht nur die neuen Fahrverbote, sondern alle Änderungen des Bußgeldkatalogs vom April 2020 nichtig. Diese Rechtsauffassung vertreten immer mehr Experten aufgrund der engen Beziehung zwischen Bußgeld und Fahrverbot. Hiervon nicht betroffen sind die Verhaltensregeln der StVO etwa in Bezug auf den Schutz von Radfahrern.
ADAC Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand: „Die Nichtigkeit aufgrund der Verletzung des Zitiergebotes betreffen nach unserer Einschätzung alle Änderungen des Bußgeldkataloges vom 28. April 2020. Einzelne Länder reagieren bereits und weisen die Behörden an, den alten Bußgeldkatalog für alle offenen Verfahren anzuwenden. Insgesamt ist die entstandene Situation ein untragbarer Zustand: Eine unterschiedliche Vorgehensweise der Länder wäre inakzeptabel. Es muss jetzt sofort zu einem bundeseinheitlichen Vorgehen kommen.“
Kein Freibrief für Raser – Verstöße werden weiter kontrolliert und sanktioniert!
Hillebrand weiter: „Klar ist aber weiterhin – und das muss in aller Deutlichkeit unterstrichen werden –, Verkehrsvorschriften müssen aus Gründen der Verkehrssicherheit unbedingt eingehalten werden. Es gibt auch in dieser Situation keinen Freibrief für Raser! Die Polizei kontrolliert und sanktioniert.“
Neues Gesetzgebungsverfahren notwendig
Nach der Rechtsauffassung des ADAC führt das unvollständige Zitieren der Ermächtigungsgrundlage dazu, dass neben den neuen Fahrverboten wahrscheinlich auch die Bußgeldänderungen nicht wirksam sind. Dieser Formfehler habe aber auch einen Vorteil, so Hillebrand: „Jetzt bietet sich die Möglichkeit, zu einem ausgewogenen Verhältnis von Delikt und Sanktionen zu kommen und ein stärker abgestuftes System zu entwickeln. Diese Chance sollten Bund und Länder gemeinsam nutzen.“
Nach Einschätzung des ADAC werden die neuen Regeln jedoch auf sich warten lassen, da ein komplett neues Gesetzgebungsverfahren notwendig wird.
Einspruch gegen Bußgeldbescheide einlegen
Wurde bereits ein Bußgeldbescheid erlassen und ist die 14-tägige Einspruchsfrist noch nicht verstrichen, sollten Betroffene umgehend Einspruch einlegen. Gleichzeitig sollten Sie eine Änderung der Rechtsfolgen verlangen.
Verkehrsminister strebt vermutlich neue Regelung an
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte Mitte Mai angekündigt, verschärfte Regeln zu Fahrverboten für Raser angesichts von Protesten wieder kippen zu wollen. Die Bestimmungen zum Fahrverbot ab 21 km/h innerorts und 26 km/h außerorts seien „unverhältnismäßig“.
Diese Neuregelung ist nun durch den Zitierfehler hinfällig. Es ist davon auszugehen, dass das Bundesverkehrsministerium eine neue Regelung anstreben wird, die wiederum der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
ADAC forderte schnelle Klärung
Der ADAC hatte seit Bekanntwerden der Pläne für die StVO-Novelle die undifferenzierte Verschärfung der Bestrafung von Tempoverstößen durch höhere Bußgelder und schneller verhängte Fahrverbote kritisiert.
Dann hatte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer mitgeteilt, sein Ministerium arbeite an der Überarbeitung dieses Teils des Bußgeldkatalogs. Dabei ging es vor allem um die Regel, dass ein Monat Fahrverbot droht, wenn man innerorts 21 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt oder außerorts 26 km/h zu schnell. Diese Regelung sei unverhältnismäßig, hieß es im Ministerium.
Der Bundesrat hatte im Februar Scheuers Vorlage in vielen Punkten verschärft, unter anderem die Regel zum Fahrverbot bei Tempoverstößen. Der Minister hatte die geänderte Verordnung dennoch in Kraft gesetzt.
Der ADAC begrüßte, dass seine früh geäußerte Kritik endlich Beachtung fand und das Bundesverkehrsministerium die neue StVO auf den Prüfstand stellte. „Insbesondere die Geschwindigkeitsverstöße werden unverhältnismäßig hart bestraft“, sagte ADAC Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand. „Durch die Neuregelung geht die seit Jahren bewährte Differenzierung in leichte, mittlere und grobe Verkehrsverstöße und damit das Gleichgewicht aus Geldbußen, Punkten und Fahrverboten verloren. Hier macht eine starke Differenzierung Sinn.“
Scheuer hatte dann laut Medienberichten angekündigt, bis Herbst mit den Bundesländern einen Kompromiss gefunden haben zu wollen. Aus Sicht des ADAC ist eine schnelle Klärung und Überarbeitung gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über die Nichtigkeit der neuen Bußgelder zwingend notwendig. „Sonst führt das zu einer großen Verwirrung bei Autofahrern“, sagte Hillebrand. „Wir fürchten eine Flut von Einsprüchen.“
ADAC Verkehrspräsident: StVO schießt übers Ziel hinaus
Mit der neuen StVO sollten eigentlich Radfahrer und Fußgänger besser geschützt werden. „Das begrüßen wir ausdrücklich“, sagte Hillebrand, „aber die deutliche Erhöhung von Bußgeldern und das frühere Verhängen von Fahrverboten auch auf Autobahnen schießt über das Ziel hinaus.“
Früher gab es innerorts bei einer Überschreitung bis einschließlich 20 km/h ein Verwarnungsgeld in Höhe von maximal 35 Euro, ab 21 km/h drohte neben einer Geldbuße von mindestens 60 Euro ein Punkt, und ab 31 km/h gab es zwei Punkte sowie ein Monat Fahrverbot.
Diese Abstufung wurde mit der Novelle massiv verändert: Neben einer Verdoppelung der Geldbußen bis 20 km/h wird bereits eine Überschreitung um 21 km/h innerorts mit einem Monat Fahrverbot belegt. Ein Tempoverstoß um 16 bis 20 km/h innerorts kostet jetzt 70 Euro.
Das hält der ADAC Verkehrspräsident für falsch. „Die Unterscheidung in leichte, mittelschwere und grobe Verkehrsverstöße hat sich in Deutschland seit Jahrzehnten bewährt“, betont Hillebrand. „Diese Differenzierung fällt mit der Neuregelung weg.“ Konkret bedeutet das: In der neuen StVO ist eine Überschreitung bis 15 km/h innerorts noch ein geringfügiger Verstoß, aber schon bei 21 km/h liegt ein grober Verkehrsverstoß vor. Hillebrand: „Hier fehlt die Verhältnismäßigkeit.„
Auch die Verschärfung auf Landstraßen und Autobahnen hält der ADAC für unangemessen – hier droht nach der Novelle ein Fahrverbot schon ab 26 km/h Überschreitung statt früher bei 41 km/h.
Hillebrand: „Flensburger System hat sich bewährt „
„Mit der Reform des Flensburger Punktesystems von 2014 wurde mit Augenmaß differenziert zwischen denen, die einmal unachtsam waren, und denen, die unbelehrbar sind“, sagt der ADAC Verkehrspräsident. Diesen bewährten Dreiklang aus Geldbußen, Punkten und Fahrverboten sollte man nicht aus dem Gleichgewicht bringen.
Wie wirksam das deutsche System sei, werde bei der Diskussion um härtere Sanktionen häufig übersehen. Tatsächlichen Handlungsbedarf sieht Hillebrand bei der personellen Ausstattung der Polizei: „Unsere Straßen werden nicht durch härtere Sanktionen sicherer, sondern wenn wir die bestehenden Vorschriften durch mehr und gezielte Kontrollen überwachen und durchsetzen.“
Beachten Sie bitte auch den dazugehörigen YouTube-Beitrag: