Zur Zukunft der Mobilität – Ein Interview

Der folgende Artikel wurde uns freundlicherweise vom 
Mercedes-Benz SL-Club PAGODE e.V. zur Verfügung gestellt

Die Zielsetzung der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien mit Blick auf das unverzichtbare Vorantreiben des Klimaschutzes als auch die von der EU entwickelten Pläne eines Klimapaketes werden sehr wahrscheinlich  auch signifikante Auswirkungen auf die Mobilität unserer Gesellschaft haben, ob per Auto, Bahn, Schiff oder Flugzeug. Aus der Vielzahl der Antriebsalternativen hat sich die deutsche Automobilindustrie offenkundig vor allem auf den Elektro-Antrieb fokussiert. Auch die deutsche Politik scheint hier den eindeutigen Schwerpunkt zu sehen, wie man den entsprechenden Förderprogrammen entnehmen kann.

  • Welche Auswirkungen werden wir aus diesem Vorgehen zu erwarten haben?
  • Welche Alternativen zum E-Antrieb könnten erfolgreich sein und in neue Richtungen deuten?
  • Wie werden wir die technische Ausgestaltung des Zieles der Klimaneutralität bei Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen erleben?

Als Redaktion dieses Magazins interessierte uns bei diesem Fragenkomplex naturgemäß zunächst der Bereich Pkw und dabei besonders auch die Frage, auf welche Auswirkungen wir uns für unsere Oldtimer einzustellen haben. Vor diesem Gesamthintergrund haben wir vor, Vertreter verschiedener Parteien im Deutschen Bundestag im Rahmen jeweils eines Interviews zu Wort kommen zu lassen. In der aktuellen Clubzeitung des Mercedes-Benz SL-Club PAGODE e.V. beginnt Rüdiger Kruse, CDU, aus Hamburg. Er ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Beauftragter der CDU/CSU-Fraktion für die maritime Wirtschaft wie auch als Berichterstatter für Verkehr und digitale Infrastruktur im Haushaltsausschuss des Bundestages zählt er zu den Experten für die uns hier interessierende Thematik.

Werner Heidemann


INTERVIEW MIT MdB RÜDIGER KRUSE

1. Wie sehen Sie die Wahrscheinlichkeit der Implementierung des Klimapaketes der EU-Kommission vom 14.07.2021?
Im Großen und Ganzen wird es kommen, wahrscheinlich mit einigen Veränderungen zu Gunsten der  wirtschaftlich schwächeren Länder.

2. Wäre die Zielsetzung der Kommission das Aus für den Verbrenner, und wenn ja, für welche Verbrenner: Benzin und Diesel-Motoren, Youngtimer, Oldtimer?
Bei den Neuzulassungen gäbe es dann keine Fahrzeuge mehr mit Verbrennungsmotoren. Die zuvor zugelassenen Fahrzeuge wären davon nicht betroffen. Aber auf absehbare Zeit wird es eine Parallelstruktur von herkömmlichen Tankstellen, Lade-Infrastruktur und Wasserstofftankstellen geben.
Irgendwann wird sich natürlich der Bestand an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren deutlich reduzieren und damit einen Rückbau der Infrastruktur (Tankstellen und Werkstätten für Verbrennungsmotoren) zur Folge haben.

3. Ist der ausschließliche Weg über die E-Mobilität geeignet, den Treibhausgas-Ausstoß der Mitgliedsstaaten bis 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu senken?
Natürlich senkt die E-Mobilität, wenn sie auf erneuerbaren Energien basiert, den Ausstoß von CO2. Der Ausschluss anderer Techniken macht es aber schwerer und ist nicht pragmatisch. Die Brennstoffzelle ist zumindest auf der Langstrecke und im LKW-Bereich der Batterie überlegen. Synthetische Kraftstoffe würden die Klimabilanz der Bestandsfahrzeuge deutlich verbessern. Technologieoffenheit ist der sinnvollere Weg.

4. Wie realistisch ist das EU-Ziel, bis zum Jahr 2035 den CO2-Rückgang verglichen zu 2021 um 100 % für alle zugelassenen Wagen zu erreichen?
Das EU-Ziel bezieht sich ja auf die Neuzulassungen, also ab 2035 auf 0 % CO2 bei Neuwagen. Dies halte ich, auch aufgrund der Entscheidungen der Automobilindustrie, für realistisch.

5. Wie bewerten Sie die soziale Komponente der E-Mobilität, also dass durch die zu erwartenden, stark steigenden Fahrzeugkosten und Benzin und Dieselpreise für viele Familien die Gefahr groß ist, dass deren Mobilität mindestens stark eingeschränkt wird?
Die soziale Komponente ist auf jeden Fall eine große Herausforderung. Ebenfalls hat man oftmals den Eindruck, dass die Verkehrspolitik in Großstädten erdacht wird. In der Stadt ist sowohl die Notwendigkeit eines Autos viel geringer als auf dem Land, als auch die täglich zu fahrenden Kilometer. Es ist aber möglich, diesen Konflikt zu lösen. Entlastungen des Bürgers an anderer Stelle wären ein Weg, z. B. durch die Reduktion von Steuern und Abgaben auf Strom.
Zur sozialen Komponente gehört aber auch, dass der Aufbau und Betrieb der industriellen Produktion für
synthetische Kraftstoffe neue Arbeitsplätze schafft und erhebliche Chancen für strukturschwache Regionen
bietet.

6. Wie sehen Sie die Divergenzen zwischen Bevölkerung, die gemäß jüngsten Umfragen deutlich mehrheitlich steigende Steuern, Stopp des Straßenausbaus und Parkraumverknappung ablehnt, und der Politik? Und wie kann Umweltschutz unter diesen Bedingungen gelingen?
Die Union will die Steuern nicht erhöhen, die Abgabenlast ist hoch genug. Höhere Steuern führen auch nicht unbedingt zu erhöhten Einnahmen, es gibt auch Erdrosselungseffekte, wenn man die Steuerschraube immer stärker anzieht.
Es sind weiterhin eine Reihe von Neubauprojekten in der Umsetzung. Wir haben eine gute Infrastruktur, allerdings mit hohem Sanierungsbedarf. Der Schwerpunkt wird in Zukunft auf dem Erhalt dieser Infrastruktur liegen.
Die autogerechte Stadt war ideologischer Teil der Dekonstruktion der alten Gesellschaft. Dazu gehörte auch die räumliche Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit.

7. Warum wird offenkundig vor allem nur die E-Mobilität gefördert?
So ganz stimmt das zum Glück nicht. Neben der Batterie-basierten E-Mobilität fördern wir auch den Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur. Dafür habe ich mich immer sehr eingesetzt und bin sehr froh, dass wir letzten Sommer eine milliardenschwere Wasserstoffstrategie beschlossen haben.
Der Einsatz synthetischer Kraftstoffe wird zuerst im Luftverkehr erfolgen, denn hier ist der Effekt noch größer als beim Autoverkehr. Im LKW-Sektor könnte die Brennstoffzelle endlich zum Durchbruch kommen. Richtig ist, dass seitens der Automobilindustrie eindeutig der Fokus auf die batteriebasierten Fahrzeuge gelegt wird.

8. Wo liegen die Chancen synthetischer Kraftstoffe für die Klimaziele?
Wir haben über 45 Mio. PKW mit Verbrennungsmotor aktuell auf unseren Straßen. Ein vorzeitiger Austausch bedeutet sowohl eine starke finanzielle Belastung der Bürger als auch entsprechende Umweltfolgen durch die Neuproduktion der Fahrzeuge. Der Einsatz von synthetischen Kraftstoffen würde sich direkt positiv auf die
Emissionen der Altfahrzeuge auswirken. 10% Anteil synthetischer Kraftstoffe würde bedeuten, dass gut
4,5 Mio. Fahrzeuge CO2 neutral unterwegs wären.

9. Wann ist ggf. mit deren breiter Markteinführung zu rechnen angesichts einer Verteilung der Antriebe (Stand 01.04.2021) auf
– 31 Mio. Benzin-Pkw
– 15 Mio. Diesel-Pkw
– 1 Mio. Gas-Pkw
– 1 Mio. E-Autos, Plug-In-Hybrid-Pkw?
Der Markt kann sehr träge, aber auch sehr schnell reagieren. In Sachen Wasserstoff war er jahrzehntelang träge.
Die Innovation lockte nicht, da das Herkömmliche sehr profitabel war. Das ändert sich gerade. Technisch ist es möglich, in weniger als 10 Jahren die Produktion synthetischer Kraftstoffe auf ein ausreichendes Niveau zu bringen. Stand heute würde allein die Lufthansa-Gruppe die Weltproduktion von synthetischem Kerosin innerhalb von zwei Wochen verfliegen. Aber heute produzieren wir nur im Testbetrieb.

10. Sehen Sie Synthetik-Kraftstoff als reale Alternative zu E-Antrieben?
Ja, als Alternative im Sinne von »und«, nicht von »entweder/oder«.

11. Und wo sehen Sie hier die Brennstoffzelle?
Seit meiner Schulzeit hieß es immer: In zehn Jahren kommt der Serien-PKW mit Brennstoffzelle. Er kam aber  nicht. Die Brennstoffzelle hat, wie die gesamte Wasserstoffwirtschaft jetzt, durch die steigende Bepreisung von CO2 eine Marktchance. Wasserstoff ist deutlich teurer als Benzin oder Diesel. Der CO2-Preis ändert das. Damit es schneller geht, kauft der Bund Wasserstoff und gibt ihn um die Differenz zu den fossilen Energieträgern verbilligt ab. So ziehen wir den Markteintritt von Wasserstoff vor.

12. Hemmt synthetischer Kraftstoff die beschlossenen Klimaschutzziele?
Nein. Er erleichtert die Erreichbarkeit der Ziele.

13. Wie könnte ein mehrgleisiges Vorgehen bei etwa gleichrangiger Förderung von verschiedenen Alternativen zum derzeitigen Verbrenner aussehen?
• Ausbau der Wasserstoffstrategie.
• Zusammenarbeit mit wind- und sonnenreichen Regionen zur Produktion von grünem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen.
• Förderung und Aufbau einer Wasserstoffproduktion aus Abfall.
• Marktanreize durch stetig und geplant ansteigende CO2-Preise.
• Ausbau der Lade- und Wasserstoffinfrastruktur.
• Beschaffungsvorgabe für den öffentlichen Bereich: Null CO2 (also technologieoffen).

14. Können Sie etwas zu politischen Überlegungen hinsichtlich der Auswirkungen der aktuellen Diskussion über alternative Antriebe auf Oldtimer-Fahrer sagen?
In der Menge stellen Oldtimer selbst dann kein echtes Problem dar, wenn sie weiter mit fossilem Kraftstoff betrieben würden. Sie sind in Anzahl und Fahrleistung nicht relevant. Mit synthetischen Kraftstoffen wäre es eh egal.
Oldtimer sind dezentral gelagertes Kulturgut. Es sind mobile Zeitzeugen. Es besteht keine Notwendigkeit, kein rationaler Grund, einen Oldtimer zu fahren. Man verzichtet auf viele technologische Errungenschaften etc.
Einen Oldtimer zu fahren (und vor allem zu erhalten!) ist ein charmanter Spleen. Auch das ist Freiheit. Eine individuelle Freiheit, die nicht zu Lasten anderer geht und sogar viele erfreut. Ich habe inzwischen – seit 10 Jahren – gar kein Auto mehr. Weil ich keines brauche. Wenn ich in Hamburg dann ab und zu mal eine schöne Pagode sehe, freue ich mich einfach.

Das Interview wurde geführt von Werner Heidemann.