40 Jahre altes Baby

  • Vor 40 Jahren startet der Mercedes-Benz 190 „Baby-Benz“ seine Erfolgsstory
  • Die Baureihe 201 etabliert ein neues Segment unterhalb der oberen Mittelklasse und wird der Vorläufer der späteren C-Klasse
  • Weltweit modernste Fahrzeugproduktion in Sindelfingen und dem neu erbauten Nordwerk in Bremen
  • Heute ein gefragtes Einsteigermodell auf dem Markt der Klassiker mit Stern

Filmbeitrag zum Jubiläum – erstellt von der Bremen Classic Motorschow

Schick, sicher und sportlich – mit diesen Ansprüchen erweitert Mercedes-Benz am 8. Dezember 1982 seine Modellpalette um eine neue, kompaktere Baureihe unterhalb der oberen Mittelklasse und der Oberklasse. Die Typen Mercedes-Benz 190 und 190 E der Baureihe 201 setzen in diesem Marktsegment neue Maßstäbe. Heute wirkt das Design der kompakten Limousine auch nach Jahrzehnten modern, und die Technik ist keinesfalls antiquiert. Und das vom Volksmund liebevoll „Baby-Benz“ getaufte Einstiegsmodell der Marke gehört als beliebter, komfortabler und zuverlässiger Klassiker nach wie vor zum Straßenbild. Nach dem Start mit den beiden Ottomotortypen wird die Motorenpalette kontinuierlich erweitert. Bereits 1983 erscheint eine Dieselvariante, der 190 D. Der sportliche Sechzehnventiler 190 E 2.3-16 und seine Nachfolger sind ab 1984 im Verkaufsprogramm und im Motorsport erfolgreich. Vor allem in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) gewinnen sie Rennen und Titel.

Mercedes-Benz 190 (rechts) und 190 E der Baureihe 201. Die beiden ersten Modelle der Kompaktklasse werden am 8. Dezember 1982 vorgestellt.

Die Typen 190 und 190 E verfügen über den Vierzylindermotor M 102 mit 1.997 Kubikzentimetern Hubraum. In abgewandelter Form ist das Aggregat seit 1980 im Mercedes-Benz 200 der Baureihe 123 im Einsatz. Um die Kompaktklasse klar zu positionieren, wählt die Marke die kleinere Zahl 190 für die neuen Typen. Als Mercedes-Benz im Mai 1993 die Nachfolgebaureihe 202 vorstellt, erhält sie einen der neuen Nomenklatur entsprechenden Namen – sie heißt nun C-Klasse. Mit der aktuellen C-Klasse der Baureihe 206 ist Mercedes-Benz seit 2021 auf dem Markt.

Erweiterung der Modellpalette um eine attraktive Kompaktklasse

Über Jahrzehnte gehören Mercedes-Benz Personenwagen der Oberklasse und der oberen Mittelklasse an. Das ändert sich Ende 1982 mit den Typen 190 und 190 E. Diese Portfolioausweitung der Marke ist damals keineswegs selbstverständlich. Denn über eine kompaktere Baureihe wird seit 1974 diskutiert, als Entwicklungsvorstand Professor Hans Scherenberg nach dem Ende der Ölkrise die Eckpunkte für einen Mercedes-Benz Personenwagen unterhalb der Mittelklasse festlegt: „Hierbei muss es sich um einen typischen Mercedes-Benz handeln. Wir können also an Fahrkultur, der Sicherheit und den entsprechenden Mercedes-Benz Eigenschaften nicht zu viele Abstriche machen.“

Aufnahme des 190E – Motorraums.

Wie erfolgreich Mercedes-Benz diese Ansprüche umsetzt, wird bei Vorstellung in den Niederlassungen und bei den Vertragspartnern am 8. Dezember 1982 deutlich: Die kompakte und handliche Limousine vermittelt Fahrfreude, die Sitzpositionen von Fahrer wie Beifahrer sind ebenso gut wie in den größeren Mercedes-Benz Fahrzeugen, auch Straßenlage, Fahrkomfort, Qualität, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit fallen nicht ab. Die Verwirklichung des Projekts wird am 19. Oktober 1978 beschlossen. Damals legt der Unternehmensvorstand fest, dass der 190 kleiner, leichter und sparsamer sein wird als die bekannte Mittelklassebaureihe 123. Gegenüber diesen Fahrzeugen werden diese Maße festgelegt: Gesamtlänge 4.420 Millimeter (minus 305 Millimeter), Breite 1.678 Millimeter (minus 108 Millimeter), Höhe 1.383 Millimeter (minus 55 Millimeter). Das Gewicht des Typs 190 sinkt gegenüber dem Typ 200 um 280 Kilogramm auf 1.080 Kilogramm.

Die modernste Fahrzeugproduktion der Welt

Werk Sindelfingen, Produktion Moderne, voll automatisierte Punktschweißanlage im Rohbaubereich. Im Bild aus dem Jahr 1982 werden Fahrzeugseitenwände an Unter- und Vorbau von Karosserien der Kompaktklassetypen 190 und 190 E der Baureihe 201 angeschweißt.

Den Serienanlauf erlebt der W 201 in Sindelfingen, bevor die Produktion auch im Mercedes-Benz Werk Bremen beginnt, das 1978 aus dem dortigen Borgward-Werk hervorgeht. An dem Standort entsteht eigens für die Baureihe 201 das Nordwerk Im Holter Feld, es gilt seinerzeit als modernste Fahrzeugproduktion der Welt. Erstmals in der Branche werden beispielsweise die Achsen automatisiert eingebaut. Rund 1,4 Milliarden DM investiert die damalige Daimler-Benz AG in das neue Werk – die bis dahin größte Einzelinvestition in der Unternehmensgeschichte. Die Produktion beginnt im September 1982 in Halle 7 mit Rohbaukomponenten, die zunächst noch ins Montagewerk Sindelfingen geliefert werden. Mit der Inbetriebnahme der Hallen 8 (Lackierung) und 9 (Montage) im Jahr 1984 startet der Bau von Gesamtfahrzeugen. Der große Erfolg der Kompaktklasse sorgt dafür, dass Kapazitäten und Arbeitsplätze im Werk Bremen kontinuierlich erweitert werden. Insgesamt werden bis August 1993 an der Weser rund eine Million 190er gebaut. Bis heute ist Bremen das weltweite Lead-Werk für die C-Klasse.

Der letzte W201 verließ am 17.5.1993 das Werk Bremen. Klaus Ludwig zieht symbolisch die letzte Schraube fest.

Exzellente Aerodynamik und beispielhafte Sicherheit

Foto des Innenraums von links ohne B-Säule.

Ein wichtiges Argument für den kleinen Mercedes-Benz liefert der US-amerikanische Kongress 1975 mit der weiteren Verschärfung des 1970 eingeführten „Clean Air Acts“. Die Novellierung verlangt, dass der Flottenverbrauch eines Herstellers ab dem Modelljahr 1985 maximal umgerechnet 8,3 Liter pro 100 Kilometer betragen darf. Ein kompakter Mercedes-Benz kann im wichtigen Exportmarkt USA entscheidend dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen – unter anderem auch mit einer ausgefeilten Aerodynamik. Tatsächlich hat die Baureihe 201 bei ihrer Markteinführung 1982 mit cW = 0,34 den besten Strömungswiderstandskoeffizienten aller Mercedes-Benz Limousinen. Der konsequente Leichtbau der neuen Kompaktklasse soll keinesfalls auf Kosten der aktiven und der passiven Sicherheit erzielt werden. Im Gegenteil, die Karosserie des W 201 wird in manchen Bereichen sogar zum Vorbild weiterer Mercedes-Benz Baureihen. Dazu gehört die Dachkonstruktion mit nach außen gelegten Dachlängsträgern. Erstmals wird eine Gabelträgerstruktur aus hochfesten Blechen eingeführt, deren extreme Steifigkeit eine definierte Verformung bei Crashs bietet und zudem zu einer Gewichtsverminderung um acht Kilogramm führt.

Innovative Technik, zeitloses Design und breites Motorenangebot

Raumlenkerhinterachse

Wegweisend beim Fahrwerk ist vor allem die Hinterachskonstruktion. Diese Raumlenkerhinterachse trägt ihren Namen, weil fünf in genau festgelegter Position zueinander im Raum angeordnete Lenker jedes Hinterrad einzeln führen. Spur, Sturz, Spurweitenänderung, Anfahr- und Bremsnickabstützung können unabhängig voneinander festgelegt werden. Diese optimal kontrollierte Radführung gleicht die Seiten- und Längskräfte in allen Fahrzuständen weitgehend aus. Das vermeidet unerwünschte Lenkbewegungen des Rads und sorgt für ein sehr ausgeglichenes Fahrverhalten. Vorn arbeitet eine an einzelnen Dreiecksquerlenkern geführte Dämpferbein-Vorderachse mit Bremsnickabstützung. Sie garantiert guten Geradeauslauf und schafft mit geringer Bauhöhe Platz unter der Motorhaube.

Das Modell der Kompaktklasse wird am 8. Dezember 1982 vorgestellt.

Das klare Design der Baureihe 201 entsteht unter der Ägide von Chefdesigner Bruno Sacco und wird maßgeblich von Peter Pfeiffer beeinflusst. Pfeiffers Maxime: „Auch ein Baby-Benz muss wie ein Mercedes-Benz aussehen, aber nicht wie eine verkleinerte S-Klasse.“ Im Rückblick erklärt der Designer: „Dieser Mercedes-Benz sieht auch nach 40 Jahren nicht aus wie ein Oldtimer. Das Fahrzeug mit seinem Design steht auch heute noch wunderbar auf der Straße.“ Das sehen Klassiker-Liebhaber genauso: Seit Jahren steigen die Preise für gut gepflegte Fahrzeuge der Baureihe.

Limousinen der Typen 190, 190 E, 190 D und 190 E 2.3-16. Gruppenaufnahme von hinten aus dem Jahr 1983.

Die erste Kompaktklasse bietet Motorisierungen für fast alle Ansprüche: Die Vergaservariante des ersten 190 im Jahr 1982 leistet 66 kW (90 PS), der mit einer Benzineinspritzung ausgerüstete 190 E 90 kW (122 PS). Danach wird die Motorenpalette kontinuierlich erweitert. 1983 erscheint der 190 D (53 kW/72 PS), der „Flüsterdiesel“ mit schalldämmender Triebwerkskapselung. Die Reihe der erfolgreichen Sechzehnventiler beginnt 1984 mit dem 190 E 2.3-16 (136 kW/185 PS), der 1988 durch den 190 E 2.5-16 (143 kW/195 PS) abgelöst wird. Für Einsätze im Motorsport entstehen 1989 und 1990 die Homologationsmodelle 190 E 2.5-16 Evolution sowie 190 E 2.5-16 Evolution II. Im letzten Produktionsjahr 1992 stellt Mercedes-Benz die AVANTGARDE-Ausführungen von 190 E 1.8, 190 E 2.3 und 190 D 2.5 als attraktive Sondermodelle unter anderem mit Perlcolor-Lackierung vor. Sie setzen Impulse für die Individualisierung im Volumensegment.

Rekorde und Motorsporterfolge

190 E 2.3-16 Foto von den Rekordfahrten in Nardò, 13. bis 21. August 1983.

Der 190 E 2.3-16 stellt 1983 in Nardò in Süditalien drei Weltrekorde auf. 1985 wird er für den Motorsport zugelassen (homologiert) und zuerst in der Französischen Tourenwagen-Meisterschaft eingesetzt.

In der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) wird Volker Weidler 1986 mit einem technisch von AMG unterstützten 190 E 2.3-16 Vizemeister der Fahrerwertung. 1988 beschließt Mercedes-Benz die Rückkehr in den Motorsport, ab 1991 bündelt der neue Mercedes-Benz Motorsportchef Norbert Haug die Rennentwicklung des 190 E 2.5-16 EVO II bei AMG. Nach Siegen in den Vorjahren belegt der EVO II in der DTM 1992 mit Klaus Ludwig, Kurt Thiim und Bernd Schneider die ersten drei Plätze, Mercedes-Benz verteidigt dazu den Sieg in der Markenwertung. 1993 wird Roland Asch mit dem 190 E „Klasse 1“ zum zweiten Mal Vizemeister.

190 E 2.5-16 Evolution II Rennsport-Tourenwagen der Baureihe 201. Mercedes-Benz DTM-Fahrer der Saison 1992, von links: Jacques Laffite, Jörg van Ommen, Bernd Schneider, Klaus Ludwig, Kurt Thiim, Roland Asch, Ellen Lohr und Keke Rosberg. Klaus Ludwig gewinnt die Fahrerwertung der DTM-Saison 1992 vor Kurt Thiim und Bernd Schneider. chives: A92F338)