Artikel von Jörg Enger mit freundlicher Unterstützung von www.PS-Classic.com aus der MVC-Depesche 01/2005
Eine kurze aber nicht unwichtige Geschichte wird durch das Kapitel 170 V Prischenwagen beschrieben. Ohne diese Variante hätte es so schnell keine neue Produktion gegeben und der Wiederaufbau wäre ärger in‘s Stocken geraten, als er es nach dem Krieg ohnehin tat.
Nur sehr wenige von den sowieso nur in geringer Stückzahl gebauten 170 V Pritschenwagen haben seither überlebt. Und das hat seinen Grund . . .
Arbeiter-Klasse
Die Kapitulation am 7. Mai 1945 markiert Ende und Anfang zugleich: Das Ende der zwölfjährigen nationalsozialistischen Herrschaft und den von den Alliierten betriebenen Neubeginn in demokratischen Formen.
Bereits am 23. März wurde als erstes im Konzern das Werk Mannheim von Amerikanern besetzt. Im April besetzen Franzosen das Werk Gaggenau. Sie marschieren auch Richtung Stuttgart und drei Tage vor ihrem Eintreffen wurde das Werk Untertürkheim stillgelegt. Doch das ist für weite Teile der Bevölkerung unerheblich. Zunächst gilt es, das Überleben zu sichern. Durch die Kriegszerstörung stehen große Teile der deutschen Bevölkerung praktisch vor dem Nichts: Städte und Wohnungen sind zerbombt und ausgebrannt, Industrie- und Versorgungseinrichtungen zerstört. Nachdem mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht die Kampfhandlungen beendet sind, stehen die alliierten Truppen vor einer Trümmerwüste. Über 400 Millionen Kubikmeter Schutt müssen weggeräumt werden.
Unter den Trümmern liegen vielfach noch die Leichen von Verschütteten; es drohen Seuchen. Allerdings ist der Grad der Zerstörung nicht überall gleich hoch: Städte sind stärker betroffen als ländliche Gebiete, die westlichen
Besatzungszonen mehr in Mitleidenschaft gezogen als die östliche. Viele Verkehrswege, Brücken und Hafenanlagen waren sogar noch von der Wehrmacht beim Rückzug selbst zerstört worden. Auch die Infrastruktur ist weitgehend zusammengebrochen: Etwa 50% der Verkehrswege sind zerstört, Eisenbahn und Post haben ihre
Dienste eingestellt. Durch Flächenbombardierungen sind ein Fünftel der Wohnungen und Fabriken sowie zwei Fünftel der Verkehrsverbindungen zerstört. 1,86 Millionen Wohnungen sind gänzlich unbewohnbar, 3,6 Millionen beschädigt; 20 Millionen Menschen von der Zerstörung ihres Wohnraums betroffen. Demgegenüber beläuft sich der Verlust an Industrieanlagen bei Kriegsende auf weniger als 20 Prozent des Bruttoanlagevermögens von 1936.
In allen vier Besatzungszonen herrscht Wohnungs- und Nahrungsmangel. Die Versorgungslage der Bevölkerung ist katastrophal. Die alliierten Reparationsforderungen sollen durch Demontagen beglichen werden. Zusätzlich zu den Kriegsschäden verschlimmern die Demontagen noch die Lage der deutschen Wirtschaft.
Alle Anstrengungen der Menschen dienen dem bloßen Überleben. Nahrung, Kleidung und lebensnotwendige Güter fehlen. Notbehelfe – oft ehemaliges Kriegsgerät – sollen das Fehlende ersetzen und helfen, den Alltag
zu bewältigen. Jedoch war das meiste Material an Lkw, genauso wie Pkw, an allen Fronten verschlissen worden.
Die schon im Krieg bestehende Rationierung wird von den Besatzungsmächten beibehalten. Die verheerenden
Wirkungen mußten alle bereits im darauffolgenden Winter am eigenen Leib erfahren: Viele Menschen erfroren in dem harten Winter, obwohl im Ruhrgebiet die Kohlehalden immer weiter anwuchsen. Das stark benötigte Heizmaterial konnte einfach nicht im großen Stil dorthin transportiert werden, wo es benötigt wurde. Das Gleiche gilt für Lebensmittel, Baumaterial und medizinische Versorgung. Diese überaus angespannte Transportlage machte es also dringend erforderlich Personenwagen zu Lieferwagen um zu bauen und die Produktionsmittel zu forcieren. Bereits am 20. Mai arbeiten 1240 Arbeiter in Untertürkheim am Wiederaufbau, doch es fehlt an allem.
Zunächst wird aus „Resten“ die Produktion des 3t Einheits– Lkw (Opel-Blitz Lizenz) wieder aufgenommen. Im August wird der Vorstandsvorsitzende Dr. Wilhelm Haspel von der amerikanischen Militärregierung aufgefordert, die Pkw Produktion neu zu planen. Dann treten unangenehme Fragen zu seiner Rolle im Deutschen Reich auf und er wird am 26. Oktober entlassen. Im November erhält Daimler-Benz die Erlaubnis zum Bau von Pritschenwagen
auf Basis des 170 V.
Aber woraus sollte man denn bauen, wenn man nur sehr wenig Material zur Verfügung hat? Eine gute Frage! Stahl wird benötigt für Motorhaube und Kotflügel sowie Motoren und Achsenteile. Rahmen wurden hauptsächlich aus den Beständen genommen, die noch für ein Produktionsjahr ausreichen sollten. Das Jahr 1946 brachte ganze 183 Einheiten Pritschenwagen und 31 Krankenwagen hervor. Deren Besonderheit war, dass sie aus Sperrholz bestanden. Kabine, Türen und Boden – alles gestrichenes Sperrholz! Eigene Mercedes-Karosserien wurden in diesem Jahr nicht gefertigt, sondern man bediente sich der Stuttgarter „Karosseriefabrik Hägele“. Nur einige wenige wurden noch mit Blechen von Flugzeugen oder ähnlichem „Schrott“ beplankt. Das eckige Führerhaus ist ein deutliches Merkmal dieser ersten Typen. Türschlösser und Scharniere stammten aus dem örtlichen Beschlaghandel. Nur ein Mindestmaß an Ausstattung waren die Sitzbank aus Sperrholz mit einem zirka drei Zentimeter starkem Polster und der fahrerseitige Scheibenwischer sowie Schiebefenster in den Türen zur Luftregulierung.
Die Lebensdauer kann man sich leicht vorstellen. So kam es auch, dass bereits 1947 im Spätherbst die ersten Rückläufer ins Werk kamen, die dann im folgenden Jahr mit neuen Metallkarosserien versehen wurden. Diese Karosserien wurden leicht abgewandelt vom Typ 170 V übernommen, von dem die Limousine bereits im eigenen Haus wieder seit dem Sommer 1947 gebaut wurde. Mittlerweile wurde auch auf Radkappen nicht mehr verzichtet, wohl aber noch auf Chrom bei den „Nutzfahrzeugen“. Selbst Stern und Kühleratrappe waren in schwarz oder grün lackiert. Allerdings kamen die üblichen 170 Lampen (statt der Einheitsscheinwerfer) und Kurbelfenster (statt der Schiebescheiben) wieder zum Einsatz.
Nicht alle dieser Fahrzeuge waren freilich Pritschen. Kranken- und Lieferwagen mit Kastenaufbau waren auch im Programm. Eine besondere Form des Pritschenwagens war überdies die Polizeipritsche. Hierbei gab es keine große, über die gesamte breite reichende Heckklappe, sondern nur ein herunterklappbares Mittelstück. Hieran war gleichzeitig eine Art Trittleiter angebracht und zwei Holzbänke in Längsrichtung boten, mit etwas gutem Willen, acht Personen Platz.
Im Januar 1948 übernahm Wilhelm Haspel nach seinen Freisprüchen wieder offiziell die Führung des Konzerns.
Unter ihm (auch während seiner Zwangspause) wurden die Arbeiten wieder voran getrieben und ein großer Teil
umstrukturiert. Eine entscheidende Änderung im Ablauf des Fahrzeugbaus war beispielsweise, dass mit dem Beginn der Limousinenfertigung die Endmontage von Untertürkheim ins Werk Sindelfingen verlegt wurde. Der Begriff „Sindelfinger Karosserie“ war ja längst ein eigener Nimbus, und so lag es nahe, den Ablauf so zu verlagern. Schließlich war es wesentlich einfacher rollende Fahrgestelle zu transportieren statt der sperrigen Karosserien. Eine Maßnahme die sehr lange bestehen bleiben sollte.
Insgesamt entstanden von den Pritschenwagen von 1946 bis 1949 die recht geringe Anzahl von 658 Stück. In den Produktionslisten wird dabei übrigens nicht nach Pritsche, Polizeipritsche und Pritsche mit Plane und Spriegel unterschieden, wie es im Kommissionsbuch der Fall ist. Neben den werkseitigen Pritschenwagen gab es selbstverständlich auch Aufbauten durch andere Firmen. Besonders zu nennen ist hier das bekannte Unternehmen Lueg in Essen. Hier entstanden noch lange danach Sonderaufbauten der Basis der 170 V, 170 D sowie deren Modifikationen und sogar auf 170 S.
Der Pritschenwagen, den wir hier Fahren durften, trägt indes einen werkseitigen, hervorragend restaurierten Aufbau. Kleine Abweichungen vom Original sind selbstverständlich die vorderen Blinker, die es in dieser Form damals nicht gegeben hat und auch die Rückleuchten stammen aus modernerer Produktion. Er hat keine Bänke auf der Ladefläche und damit kann man Ausschließen, dass er zum Personentransport vorgesehen war. Alle Pritschen und Lieferwagen wurden ehedem mit verstärkten Federn versehen, damit sie die Nutzlast von immerhin 750 kg aufnehmen konnten. Dies führte freilich dazu, dass die Achsrohre im entlasteten Zustand unten in den Fangbändern auflagen. Um dies zu verhindern haben nur diese „Nutzfahrzeuge“ verlängerte Fangbänder. Daraus ergibt sich aber das nächste, nämlich der Sturz der Zweigelenk-Pendelachse beläuft sich auf vier Grad Positiv. Dass das Fahrverhalten dadurch etwas „abenteuerlich“ wird kann man sich leicht vorstellen. Aus diesem Grund wurde bei der Restaurierung dieses Wagens auf die „originale“ Federung und diese hohe Zuladung verzichtet,
damit man ihn noch gut fahren kann. Schließlich gibt es nur noch sehr wenige Unternehmer, die ein solches Fahrzeug zum Transport schwerer Waren nutzen würden.
Die Leistung des kleinen normalen Vierzylinders mit 1697 Kubikzentimetern ist, wie bei dem Vorkriegsmodell
und der Nachkriegslimousine, mit 38 PS schließlich auch eher begrenzt. Erstaunlich ist dennoch die zusätzlich mögliche Anhängelast: Mit entsprechender Vorrichtung durfte man noch einen Hänger mit dem Gesamtgewicht von 1.100 kg ankuppeln. Das sich diese Gefährt dann, dann wahrscheinlich nicht mehr bewegt, schien die entsprechenden Behörden von Einst nicht zu interessieren.
Sicherlich ist die Fahrt in der knapp bemessenen Kabine alles andere als luxuriös, dennoch bietet auch der Pritschenwagen sein Fahrvergnügen. Die Baujahre 1947 und später hatten schließlich eine richtig gepolsterte Sitzbank und von der Cockpit-Ausstattung her sind sie von der Limousine nicht zu unterscheiden. Ein vermeintlicher Mangel, den einige Besitzer beklagen, nämlich die hohen Temperaturen im Volant, ist häufig durch das heutige Verhalten erklärbar. Fährt man ein moderneres Auto mit Lüftung und Klimaanlage, kennt man sich mit der alten Belüftungstechnik natürlich nicht aus. Wichtig ist hierbei, dass man in keinem Fall die Seitenscheiben öffnet, sondern die Luftzufuhr ausschließlich über die ausstellbare Frontscheibe regelt. Versucht man es dennoch über das Kurbelfenster, ergibt sich der Effekt des Unterdrucks in der Kabine, die dann die „fehlende“ Luft durch alle möglichen Ritzen in der Schottwand (also aus dem warmem Motorraum heraus) zu ersetzen sucht. Fazit: Das gegenteilige Ergebnis wird erzielt und die Fahrt wird nach mehr als einer Stunde zur Qual. Hält man sich an diese Regel, kann einem die Pritsche sehr viel Freude und Freunde machen. Selbst dann, wenn sie nicht so gut restauriert ist wie diese . . .