Aus der Clubzeitung: Verkannte Größe

Typ 380 Cabrio C

aus der MVC Depesche 05/2005 
Clubzeitung des Mercedes-Benz Veteranen Club von Deutschland e.V.

Er ist der Stammvater der „Boulevard-Sportler“. Seine Stärken, trotz Achtzylindermotor mit Kompressoraufladung, liegt in der Tat eher im repräsentativen Dahingleiten, denn in sportlichen Höchtsleistungen. Kompfortbetont und technisch innovativ, wenngleich vermeintlich noch nicht ganz ausgereift sollte er der Vorläufer von 500 K und 540
K sein und eigentlich die Brücke schlagen zu den Sportwagen à la SSK.

Scheinbar eine unlösbare Aufgabe und dadurch wurde der Typ 380 auch nur in sehr geringer Stückzahl gebaut. Dieses Cabriolet C hat darüber hinaus noch einen prominenten Vorbesitzer, der dieses Modell durch seinen Kauf damals in die Bekanntheit brachte . . .

Die Straßen sind um 1930 für den schnellen Autoverkehr deutlich besser geeignet, Reifenpannen seltener, Fahrwerke sicherer und komfortabler, die Vierradbremsen schon häufiger servounterstützt. Der von Prinz Heinrich von Preußen erfundene Scheibenwischer ist schon lange im Gebrauch, Richtungsanzeiger, Winker genannt, sind vorgeschrieben, es gilt generell Rechtsverkehr, und das Lenkrad ist mit zunehmenden Autoverkehr so um 1926 von der rechten Seite nach links gerückt. Es gilt nicht mehr, den Graben im Auge zu haben – der ist inzwischen weitgehend zugeschüttet – sondern den Gegenverkehr.

Der Komfort der durchweg noch mit Starrachsen und Blattfedern ausgestatteten Personenwagen ist dank der Erfindung des Stoßdämpfers, als Reibungs- oder Banddämpfer, deutlich besser geworden, wenn er auch, vor allem bei kleineren und leichteren Fahrzeugen, noch zu wünschen übrig lässt.

In dieser Zeit schlug die Stunde des überragenden Chefkonstrukteurs Dr. Ing. E. h. Hans Nibel, einem ehemaligen „Benz-Mann“, der seit Ende 1928 Nachfolger Ferdinand Porsches bei Daimler-Benz war. Zunächst aktualisierte er das vorhandene Programm. Er war verantwortlich für die hintere Pendelachse im neuartigen Typ 170 W15 und seinem größeren Brudermodell dem 200 W21. Beiden attestierten die Motorjournalisten seiner Zeit hervorragende Fahreigenschaften. Allerdings konnte damals die Motorleistung bei den „Kleinen“ nicht recht überzeugen.

Alle Tester sahen bei diesem Fahrwerk die Möglichkeit, einen wirklich schnellen Reisewagen darauf zu bauen, als sehr realistisch an. Schnell hieß es in diesem Zusammenhang, dass der Wagen mit einer Schnittgeschwindigkeit von 90 Kilometern pro Stunde gefahrlos bewegt werden könnte. „Eine Urlaubsdauer von zwei oder gar drei Wochen würde für Reisen bis an die fernsten Grenzen Europas bequem ausreichen.“ kann man im „Motor“ von 1933 nachlesen. Wenn denn ein Typ 170 oder 200 diese Geschwindigkeit erreicht hätte. Und dann kam er, ein weiteres erfolgreiches Modell ab 1933: Der 140 PS starke Achtzylinder-Kompressor-„Sportwagen“ Typ 380!

Auch er ein Vollschwingachser wie bereits seit 1931 der 170 W15. Allerdings sind die Vorderräder des 380 erstmals an Parallelogramm-Lenkern mit Schraubenfedern aufgehängt. Mit dieser richtungweisenden
Konstruktion wurden Radführung, Federung und Dämpfung erstmals getrennt. Der Komfort und die Fahrsicherheit waren in eine neue Evolutionsstufe eingetreten.

Laut Werksunterlagen gab es bereits vorher einen Typ 380 mit dem Zusatz S, der der Modellreihe Mannheim zugerechnet werden soll. Da es aber nur Datenblätter und nicht ein einziges Foto von diesen Fahrzeugen gibt, darf deren Herstellungszahl von über 100 Stück doch stark bezweifelt werden.

Der Typ 380 mit der internen Bezeichnung W 22 war hingegen ein ganz neues Fahrzeug. Er unterschied sich nicht nur in der bereits erwähnten revolutionären Vorderachse sondern auch im Motor. Genauer in vier Motorvarianten von allen anderen Fahrzeugen. Man unterschied die Maschinen in M22, den es mit und ohne angebauten Kompressor gab, den M22K, bei dem der Kompressor integriert war und der aufgebohrten vier Liter Variante mit integriertem Kompressor. Grundsätzlich hatten diese Triebwerke acht Zylinder mit hängenden Ventilen. Die Kurbelwelle drehte sich in 5 Lagern und das erstaunlich ruhig. Serienmäßig verfügte der Typ 380 über ein Schnellgang-Getriebe und den neu wieder in Mode gekommenen leicht keilförmigen Kühler.

Die besondere Rarität dieses Typs ist durch verschiedene Umstände gegeben. Zunächst durch die verschiedenen Motor-Variationen, wobei sowohl die Version ohne Kompressor sowie die 4-Liter-Variante eine so geringe Größe darstellen, dass man sie schon fast vergessen könnte. Also bleiben noch die zwei Arten mit angebautem und integriertem Kompressor, die sich wahrscheinlich im Baujahr 1933 und 1934 unterscheiden lassen. In Zwei Jahren wurden aber insgesamt von allen nur 154 Fahrzeuge gebaut. Die meisten wiederum hiervon mit der Karosserie eines Cabrio B. Direkt auf dem zweiten Rang findet sich das Cabrio C, welches wir hier mit unseren Bildern belegen.

Der Typ 380 wurde trotz seines Kompressoreinsatzes niemals mit dem Kürzel „K“ belegt. Das „K“ für den Lader wurde in der Bezeichnung erst für den 500 K eingeführt. Beim 380 W22 hätte dieser Zusatz noch für einen kurzen Radstand herhalten müssen, den es bei diesem Fahrgestell aber nicht gab, auch wenn in manchen Prospekten abweichende Zahlen zu finden sind.

Apropos Fahrgestell: Beim W 22 war man immer mit einem Niederpressstahlrahmen aus einem Kastenprofil unterwegs. Die Notwendigkeit hier noch etwas zu ändern, sah man noch nicht. Zunächst hatte man sich auf die, für diese Klasse einmalige, Bauart des Vollschwingachsers konzentriert. Die unterschiedlich Optik einiger Fahrzeuge erklärt sich durch das sogenannte „Fahrgestell für Sportwagen“. Dieses war genauso wie die anderen auch, allerdings wurden die Komponenten wie Kühler, Antriebseinheit, Lenkung und folglich auch Sitze und Karosserieproportionen deutlich 10 cm zurückversetzt montiert und dadurch ergab sich ein noch sportlicheres Aussehen.

Wenngleich er noch eindeutig ein Kind der frühen 30er Jahre war, so wurden die Formen doch merklich fließender. Tiefer angesetzte Kotflügel und glattere Formen wiesen allmählich den Weg zur Stromlinienform, obwohl diese noch sehr wenig Auswirkungen auf den Publikumsgeschmack hatten. Das Zusammenspiel aus acht Kolben, Kompressor, Schnellganggetriebe, Hinterachsübersetzung und Federung samt Dämpfung lässt den Typ 380 eine Spitzengeschwindigkeit von 120 bis 155 km/h erreichen. Das bedeutet, dass der angepeilte Schnitt von 90 klar überschritten wurde, wenngleich natürlich nicht eine längere Distanz mit Höchstgeschwindigkeit und Kompressoreinsatz zurück gelegt werden konnte.

Warum der Typ 380 schon so bald vom Typ 500 K ersetzt werden sollte ist nicht ganz nach zu vollziehen. Der W22 hatte im direkten Vergleich Leistungen, die kaum eine anders Serienautomobil jener Zeit besaß. Die Literleistung beim Saugbetrieb war immerhin über 23 PS und bei zugeschaltetem Kompressor steigerte sich dies auf über 36 PS pro Liter Hubraum. Der Kraftstoffverbrauch lag dabei bei „nur“ rund 22 Litern. Heute kaum noch vorstellbar, aber damals positive Werte die nicht nur von den Nachfolgern 500 K und 540 K nicht erreicht wurden, sondern die auch die berühmten Kompressormodelle SS und SSK nicht halten konnten. Damit stellte der „kleine“ Achtzylinder eigentlich die wahre Krone des Motorenbaus jener Jahre dar. Dass diese Größe zumeist verkannt wurde, lag wahrscheinlich daran, dass die zur Verfügung stehende Kraft häufiger in die Relation zum Gewicht des Wagens gesetzt wurde als vielmehr zu schauen, woher sie denn kommt. Die anderen Finessen und üppigen Ausstattungsmerkmale unterstreichen den Anspruch, in der großen Klasse eingruppiert zu werden, ganz deutlich.

Ein Design-Merkmal, an dem man üblicherweise die Kompressorwagen von Mercedes-Benz (und gelegentlich auch anderer Hersteller) erkennt, sind die aus der Motorhaube heraustretenden Auspuffrohre. Das ist beim Typ 380 nicht so. Seine Abgasleitungen sind vielmehr fein unter dem Deckel verborgen und sollten die Stromlinie nicht unterbrechen. Alles in allem war der 380 W22 also doch schon mehr ein sportlicher Reisewagen als ein Boulevard-Sportler wie sein Nachfolger. Wer heute noch die Möglichkeit hat, ein solches Fahrzeug zu bewegen, wird bestätigen, dass es ein Hochgenuss ist, diese verkannte Größe mit den modernsten Details seiner Zeit zu erleben . . .

Prominenter Erstbesitz

Das Fahrzeug welches uns freundlicherweise von www.PS-Classic.com für unsere Photos zur Verfügung gestellt wurde, hatte darüber hinaus ein ganz besonderes Kennzeichen bei seiner ersten Zulassung: IA-IIII

Ein Herr hatte sich in Berlin (dafür steht das IA)dieses Kennzeichen gesichert und übernahm es immer von Fahrzeug zu Fahrzeug. Dieser Herr war eine feste Größe im deutschen Filmgeschäft und diese Kennzeichen begleitetet ihn von seinem Typ SS über den 380 und mindestens noch bis zu seinem 500 K Cabrio.

Willy Fritsch, so sein Name, wurde 1901 in Polen geboren. Er zog im Jahre 1912 mit seinen Eltern nach Berlin. Seine Mechanikerlehre bei Siemens brach er ab und fand über Komparserie-Auftritte im Chor des Großen Schauspielhauses schon 1919 den Zugang zu Max Reinhardts Deutschem Theater. Die Affinität zur Technik war ihm aber immer geblieben. Seit 1921 war er regelmäßig im Film zu sehen. Willy Fritsch etablierte sich erfolgreich bis hin zum Ende der Stummfilmära als jugendlicher Liebhaber und vieles seiner Gagen investierte der Autonarr in seine fahrbaren Untersätze. Der Ufa-Produzent Erich Pommer beschrieb ihn als „eine elegante Mischung aus Gardeleutnant und Poussierstengel, mit Anmut, Grazie, Männlichkeit, Burschikosität und Courtoisie“ und nahm ihn unter Vertrag. Willy Fritsch, gleichermaßen fesch in Uniform und Freizeitanzug, in Abendkleidung und im Sportdress, trat als Partner großer Diven wie Henny Porten und Ossi Oswalda auf – bei den bekanntesten Regisseuren der zwanziger Jahre Max Mack, Richard Eichberg, Carl Froelich und Fritz Lang war er unter Vertrag.

Sein eigentlicher Durchbruch erfolgte aber erst durch die Zusammenarbeit mit Lilian Harvey seit 1928. Auch sie war ein großer Automobilfan und so wurde bis 1937 fast jedes Jahr ein Film mit beiden gedreht. Die beiden wurden das Traumpaar des deutschen Films. Fritsch spielte in diesen Filmen – meist Musikkomödien und Operetten gerne mit schönen Fahrzeugen gespickt – den unbekümmerten, optimistischen Helden des Alltags. Sein einziger NS-Propaganda- und letzter Ufa-Film ist „Junge Adler“ (1944), in dem er als Ausbilder in einer Flugzeugfabrik seine Schützlinge auf Linie bringt. Er war – obwohl NSDAP-Mitglied – jedoch ein gänzlich unpolitischer Mensch. Nach Kriegsende stand er ab 1948 wieder vor der Kamera und spielte vor allem in seinem angestammten Genre. Willy Fritsch, der sich nach dem Tod seiner Frau 1963 weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, starb 1973 und hinterließ ein Gesamtwerk von rund 100 Filmen, von denen sicherlich einer der bekanntesten „Die Drei von der Tankstelle“ ist. Er, sowie sein Künstlerkollege, der berühmte Tenor Jan Kiepura, gehörten zu den ersten Bestellern des neuen Typs 380. Beide orderten übrigens ein Cabriolet C.

JE mit freundlicher Unterstützung von www.PS-Classic.com

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