GmM: Wie eine gesengte Sau…

Erinnerungen an eine verflossene, sorglose Zeit.

Der Mercedes-Benz Typ 680 S Sport/4, Baujahr 1928, Fahrgestell-Nr. 35918, Motor-Nr. 68667, Kommissions-Nr. 39706

  • “Also es war so, Herr Vorsitzender, ich fuhr gemütlich entlang der Fernstraße, und plötzlich sah ich im Rückspiegel eine Staubwolke, die auf mich zuraste, und dann überholte mich der Wagen, so mit ungefähr 60 bis 70 Meilen/Std (ca. 95 bis 115 km/Std). Ich war mir sicher, irgendetwas würde passieren, konnte aber nur sehen, was tatsächlich passiert war, als der Staub sich verzogen hatte….“
  • „Und, was haben Sie dann gesehen?“ fragte der Staatsanwalt.
  • „Tja, da war er nun, der Wagen, im Graben lag er! Aber nachdem der Mercedes aus dem Graben herausgezogen worden war, fuhr er gleich mit vollem Tempo wieder weg”.
  • “Ja, und was war dann?“
  • „Nun, entschuldigen Sie mich bitte, wenn ich grinsen muss, Herr Staatsanwalt, ich fuhr auch weiter, und was sah ich hinter der nächsten Kurve? Genau! Da lag er doch tatsächlich wieder im Graben. Das musste ja so kommen, er fuhr einfach viel zu schnell!“
  • „Zeuge Thomas Morcom, war Ihrer Ansicht nach der Angeklagte nüchtern?“
  • „Oh, ja, Herr Vorsitzender, das war er, der war stock nüchtern.“

Zur Verhandlung war der Angeklagte, Royal Navy Unterleutnant Home Kidston, nicht erschienen, noch war er durch einen Verteidiger vertreten. Der Staatsanwalt, Feldwebel Petersen, meinte, dass der Angeklagte vermögend sei, und dass in seinem Fall eine Geldbuße keine abschreckende Wirkung haben würde. In seinem Urteil erklärte dann der Vorsitzende des Gerichts in Blenheim (Neuseeland), Mr. T.E. Maunsell (Senior Magistrate) abschließend, dass Unterleutnant Kidston, z.Z. auf Landurlaub von seinem Schiff „H.M.S. Diomede“, wie eine gesengte Sau führe. Er, der Richter, würde es nicht dulden, dass in dieser rücksichtslosen Art durchs Land gefahren würde, und verdonnerte Kidston zu einem Strafgeld, das, wie damals der Zeitungsbericht erwähnte, „einer arbeitslosen Durchschnittsfamilie mehrere Monate lang ein Leben im Luxus erlauben dürfte.“ Zusätzlich wurde der Führerschein des Unterleutnants für zwei Jahre einbezogen. (Der obige Text wurde lose aber sinngemäß authentisch von einem zeitgenössischen Neuseeländischen Zeitungsbericht übersetzt).

Es war nicht das erste Mal, dass Home Kidston bereits innerhalb der ersten Monate seiner Stationierung in Neuseeland ein Strafgeld wegen übermäßiger Geschwindigkeit bekommen hatte. Zweimal zuvor war er bereits auf seiner Tour quer durch Neuseeland angehalten worden. Kaum war er losgerast, bekam er schon seinen ersten Strafzettel mit einem Bußgeld von 5 Pfund (die Kaufkraft eines einzigen engl. Pfund Sterling von 1930 entspräche heute 2014 je nach Tageskurs etwa 47,30 £ bzw. 60,34 €). Als Kidston das Flachland der südlichen Insel erreichte, ließ er die Pferde – schließlich standen ihm ja einige zur Verfügung – so richtig los. Prompt kam bei Kaiapoi der nächste Strafzettel, diesmal – nur – über 3 Pfund. Und dann kam eben der dritte Vorfall, auf der Strecke Blenheim-Picton, und der brachte ihm das Gerichtsverfahren in Blenheim ein….mitsamt Führerscheinentzug.

Aber unser übermütiger dreiundzwanzigjähriger Unterleutnant hatte Verbindungen: Seinen Führerschein bekam er Dank der Intervention der Admiralität der Royal Navy wieder zurück.

Holme Kidston hatte wohl Oktan im Blut, und seine, man möchte fast sagen Sucht nach Geschwindigkeit muss wohl irgendwie Bestandteil der Chromosomen der Kidston-Familie gewesen sein: Sein älterer Bruder Glen war Rennfahrer, er war auch einer der „Bentley-Boys“ (deren tagelang andauernde berühmt-berüchtigten Partys das Zeug von Legenden wurden!). Er gewann u.a. 1930 mit seinem Co-Piloten Woolf Barnato in einem 6,6 –Liter Bentley „Speed Six“ das achte „24 Std. von Le Mans“-Rennen, gegen die Bugattis und Alfa-Romeos, und gegen den einsamen Mercedes 710 SS von Rudi Caracciola und Christian Werner – der bereits nach 79 Runden ausschied.

Um so richtig die Zusammenhänge zu verdeutlichen, muss man verstehen, wer diese „Bentley Boys“ eigentlich waren. Es waren 17 reiche Playboys, gleichzeitig aber auch seriöse Motorsport-Enthusiasten, alle eingeschworen auf die Wagen der Firma Bentley, die einer von ihnen (Woolf Barnato) 1925 aufgekauft hatte,  und die zwischen 1927 und 1930 alle vier Le Mans-Rennen gewannen und 1930 sogar die ersten 4 Plätze belegten. Einer der Reichsten unter ihnen, wenn nicht sogar der Reichste in dieser Gruppe war der 31-jährige Glen Kidston, Flieger, ehemaliger Royal Navy Korvettenkapitän, und eben auch Rennfahrer und älterer Bruder von Home.

Durch ihn und durch seinem zukünftigen Schwiegervater Lord Howe – ebenfalls ein Mitglied der „Bentley Boys“ – wurde Home Kidston zum Kauf seines Mercedes-Benz 680 S Sport/4 angeregt, und es ist eben dieser Wagen – zusätzlich zu seinem Rennboot und seinem De Havilland „Racing Moth“ Doppeldecker Rennflugzeug – den er, bzw. die er alle drei auf dem Schiff nach Neuseeland mitnahm, als er 1933 dorthin stationiert wurde.

Man kann mit einiger Berechtigung fragen, warum Home Kidston einen Mercedes, und keinen Bentley kaufte, Frage auf die man keine Antwort mehr bekommen wird. Tatsächlich hatten die „Bentley Brothers“ großen Respekt vor den Mercedes-Benz  SS 710, und betrachteten sie als ihre gefährlichste Konkurrenz (besonders mit Rudolf Caracciola am Steuer). Vielleicht mag dies beim Kauf eine Rolle gespielt haben…Jedenfalls hatte Home Kidston’s neues Spielzeug, sein dunkelroter Mercedes 680 Typ S , zuvor schon eine kleine Rennkarriere hinter sich gebracht.

Die Geschichte dieses 680 S Sport/4 fängt nämlich am 16. Mai 1928 an, als das Fahrgestell mit der Nummer 35918 an die Mercedes Niederlassung R. Caracciola & Co. In Berlin, für Freiherrn von Loen abgeliefert wurde. Es ist nicht klar, ob der Wagen bzw. das Fahrgestell tatsächlich von Herrn von Loen abgenommen wurde oder nicht.

Dann kauft irgendwann Anfang 1929 ein Offizier der Englischen Besatzungsmacht im Rheinland den Wagen, führt ihn nach England ein, und am 18. Mai 1929, also gerade mal ein Jahr nach seiner Auslieferung in Berlin, gewinnt der Wagen, jetzt mit dem britischen Kennzeichen UU 2462 versehen, mit einem gewissen 25 Jahre alten Tom „Scrap“ Thislethwayte am Steuer – Playboy, Rennwagen-Enthusiast und Sohn reicher Ländereien-Besitzer und auch er Mitglied der „Bentley Boys“– in Southport im Nordwesten Englands den „Daily Dispatch Golden Vase“-Pokal.

UU2462 hat jetzt einen sogenannten „Van den Plas“-Aufbau (System Weyman), der sehr an die Sindelfinger Karosserien erinnert. Die Form ist nahezu identisch, allerdings ist die Holzgestell-Karosserie mit Kunstleder bezogen worden (Gewichtseinsparung?), die Türausschnitte sind tiefer als üblich, und die Räder des 680 Sport/4 haben nun auch einfache Schutzbleche statt Kotflügel.

Am 17. August 1929 findet das „Irish Tourist Trophy“-Rennen statt. „UU 2462“ geht mit der Nummer 72 in Newtownards bei Belfast an den Start, mit Margaret Jean Maconochie als Fahrer. Miss Maconochie – Erbin einer großen Lebensmittelfabrik –  war eine nicht zu unterschätzende Rennfahrerin. Seit dem Beginn ihrer Rennkarriere 1927 im Alter von 22 Jahren hatte sie mehrere Rennen gewonnen, und auch erfolgreich an Geschwindigkeits-Rennen teilgenommen, doch in diesem Rennen waren ihr die Götter der Rennbahnen nicht besonders hold: sie rutschte aus, verpasste eine Kurve, fuhr sich mit ihrem 680 S Sport 4 fest, und schied später wegen Benzinmangel aus. Sieger dieses größtenteils im Regen gefahrenen Rennens wurde nach 5 Std 37 Minuten und 40 Sekunden Rudolf Caracciola auf einem 710 SS mit der Startnummer 70. Otto Merz wurde 13., und Tom „Scrap“ Thistletwayte landete auf Platz 15, beide fuhren ebenfalls einen 710 SS.

Im darauffolgenden Jahr 1930 befindet sich der Wagen im Besitz eines Edward Louis Mayer über den es ansonsten wenig zu sagen gibt.

Im gleichen Jahr 1930 erwirbt dann Home Kidston den 680 S Sport/4 über Lord Freddie March von dem oben genannten E. L. Mayer. Freddie March war ebenfalls  ein erfolgreicher Rennfahrer, der viel später (1948) auf dem Land, das er 1935 erben wird, der Erbauer des Goodwood Motor Circuit und der Gründer der Goodwood Rennen sein wird.

Nun ist Home Kidston in Neuseeland, und er fällt nicht nur der Polizei wegen seiner Fahrweise auf, er stellt 1933 auch mehrere Streckenrekorde in den so genannten „town-to-town“-Rennen auf. Im darauffolgenden Jahr 1934 passierte es dann schließlich doch. Kidston verunglückt mit seinem Wagen schwer, und landet mit seinem Beifahrer für mehrere Wochen im Krankenhaus.

Noch auf Station liegend, spricht Home Kidston mit einem Karosseriebauer, und gibt für seinen arg ramponierten Wagen eine Monoposto-Karosserie in Auftrag, die vage an den Mercedes-Benz W25 Grand-Prix Wagen erinnert, und weiß lackiert wird.

Aus dem Krankenhaus entlassen, nimmt er mit diesem etwas unförmig aussehenden Wagen an sogenannten Strandbahn-Rennen teil, und siegt auch mehrmals, unter anderem am 4. Mai 1935 beim „Muriway Beach“-Rennen (Neuseeland). Kommentar der Presse zu dem Wagen: „Es war ein höchst beeindruckendes Monster“. 1936 nimmt der Wagen an den „Southseas Speedtrials“ teil.

1937 geht es schliesslich zurück nach England, wo Kidston seinen Mercedes-Benz 680 S Sport/4 mit der nachempfundenen Grand-Prix Karosserie verkauft.

Dann bricht der zweite Weltkrieg aus, und der Wagen wird von 1939 bis 1945 bei der Firma Thomson & Taylor, Brooklands, eingelagert. Zu der Zeit hat der Wagen noch sein neuseeländisches Kennzeichen und die Startnummer 18, mit der Kidston 1935 das „Muriway Beach“-Rennen gewann.

Ende der vierziger Jahre gibt es ein paar Verkaufsversuche, u.a. 1949 durch Sheriton Motors in Bournemouth, Dorset, England.

Im November 1950 wird in einer Anzeige der Wagen als „Mercedes-Benz Typ SS Fahrgestell“ mit neuer Karosserie, „aus familiären Gründen“ zum Verkauf angeboten, wobei Angebote von mindestens 300 Pfund –  gleich 6730 GBP heute oder 8550 € – erwünscht seien, auch unter dem Hinweis, dass der Wagen zu der Zeit bei „Downton Engineering Works Ltd.“ in Downton, Wiltshire, restauriert würde, und dort besichtigt werden könne. Dem zukünftigen Eigentümer wird der Kauf zusätzlich damit schmackhaft gemacht, dass er mit dem Wagen auch noch einen Ersatzkompressor, ebenso durch die renommierte Londoner Firma „Laystall Motor Engineering Works“ überholte Bremstrommeln bekäme,  und – last but not least – obendrein noch vier ganz neue Dunlop „Renova“-Reifen plus zwei Ersatzräder. Über solche runderneuerten Reifen hätte sich damals sicherlich jeder gefreut, auch in England, das noch stark an den wirtschaftlichen Folge-Erscheinungen des Krieges zu leiden hatte!

Dann wird es still um den Sport/4, bis 1963, als der legendäre US-amerikanische Rock-n-Roll Sänger – und Auto-Enthusiast – Roy Orbison, der in England mit den Beatles auf Tournee ist, den Mercedes (diesmal höchst wahrscheinlich nur als Fahrgestell) kauft.

Es ist eher unklar, was mit dem Wagen, bzw. mit dem Fahrgestell in den darauffolgenden Jahren geschah. Bekannt ist, dass der Wagen 1968 eine neue Karosserie bekommt, und dass in den achtziger Jahren ein gewisser John König, Eigentümer der John Konig & Co. Weinhandelsgesellschaft in Stockbridge, West Hampshire, England,  der Besitzer des Sportwagens ist. Am 20. Juni 1989 zeigt Mr. König den Wagen Home Kidston, der ihn als seinen identifiziert, den Wagen mit dem er in Neuseeland rannte.

Im gleichen Jahr 1989 verkauft König den Wagen durch Dan Margulies, den legendären Londoner Händler klassischer und historischer Automobile, an den deutschen Unternehmer Rudolf Geray aus Zweiflingen. Der Wagen ist weiß lackiert mit dunkelblauer Innenausstattung, hat hydraulische Bremsen, und das Kennzeichen KÜN-S 178.

Mitte der neunziger Jahre lässt Rudolf Geray den Wagen von der Dornberg Auto GmbH restaurieren. Gleichzeitig bekommt der Sport/4 einen neuen Aufbau, ein Nachbau der Sindelfinger Sport/4 Karosserie.

Zwischenzeitlich nimmt R. Geray mit dem Wagen 1994 am „Rallye de Monte-Carlo des Voitures Anciennes“, und 1997 mit Beifahrer Fritz Walter an der Jubiläums- Mille Miglia (Startnummer 33) teil.

Schließlich wird der Wagen im August 1997 über A. Schütte, in Oerlinghausen, an einen Schweizer verkauft, der ihn jedoch nicht abnimmt. Und so wird der 680 Sport/4 an einen Deutschen Sammler und Unternehmer verkauft, in dessen Besitz er heute noch ist. Mittlerweile hat der Wagen, grau lackiert mit dunkelgrauen Kotflügeln,  sogar sein ursprüngliches Kennzeichen UU2462 wiederbekommen, mit dem er aber lediglich für Präsentation- und Representationszwecke „geschmückt“ wird. (Im „Alltagsverkehr“ fährt er mit ordentlichen deutschem Kennzeichen herum!).

In diesem Jahr – 2014 – nahm W 35918 erneut an der „Mille Miglia“ teil, und wurde durch Simon Kidston, dem Sohn von Home Kidston, auf den Weg geschickt…

Und nun zum Modell im Maßstab 1:43, das Ilario herausgebracht hat.

Das Modell stellt den Mercedes-Benz 680 Sport/4 in seinem jetzigen Zustand dar, das heißt u.a. auch, um heutzutage straßentauglich zu bleiben, mit den vom Gesetz verlangten Blinkern und Bremslichtern.

Mit jedem Mercedes-Modell, das Ilario uns anbietet, sind die Wiedergabe und die Detaillierung besser und noch akkurater als beim Vorhergehenden. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es in nicht allzu ferner Zukunft schwer sein könnte, qualitätsmäßig die Ilario Modelle von den EMC-Modellen zu unterscheiden. Doch noch gibt es da einiges, das zu verbessern wäre …und zwar bei der Montage der Modelle in China. Da kann es nämlich noch immer passieren, dass hier und dort etwas schief ein- oder angebaut wird. Dito kann ein ganzes Modell bzw. eine ganze Modellproduktion schief ausfallen. Hier ist deutlich mehr Qualitätskontrolle gefordert, sowohl bei der Produktion als auch bei der Endabnahme seitens des Auftraggebers. Es kann und darf einfach nicht sein, dass ein Modellautosammler, der für sein  Modell zwar deutlich weniger als für ein EMC-Modell, doch immerhin über 200 Euro zahlen muss, ein fehlerhaftes Modell bekommt.

Text: Bernd D. Loosen – Aufnahmen: verschiedene Quellen.