VIEL mehr als eine VISION

Der Wankel-Motor bei Mercedes-Benz

von Wolfgang Kalbhenn

Wer kennt diesen Motor? (Auflösung folgt)

Als ich ab 1965 als Jung.-Ing. bei Daimler-Benz in Stuttgart in der Motoren-Konstruktion bei Wolf-Dieter Bensinger ans Zeichenbrett kam, munkelte man im Hintergrund von einem neuen Motor bei Daimlers. Unser Großraum-Büro war abgeteilt durch einen langen Paravan, und dahinter sollten sich Konstrukteure mit dem „Wankel-Motor“ befassen?

So geheim und abgeriegelt – selbst für Mitarbeiter – waren die Planungen und Aktivitäten damals in den Anfängen noch; aber das Publizieren dieser Entwicklungsarbeiten und den Fortschritt darin wurde auch weiterhin, ich will nicht sagen, untersagt, aber doch nicht gerne „gesehen“! Natürlich interessierte mich das brennend, und ich informierte mich – wann immer ich konnte – bei den Kollegen „hinter der Wand“!

Als Praktiker konnte ich es mir auch nicht verkneifen, hin-und-wieder in den „Versuch“ zu entschwinden; „Versuch“ hieß da beim Daimler die empirische Erprobung mit Motor-Prüfständen und Fahrzeugerprobung. >ich wurde ein Fan dieses Wankel-Motors! Das blieb meinem obersten Chef und Ziehvater Bensinger nicht verborgen, und er zitierte mich eines Tages in sein Büro, um mir zu sagen: „unten“ im Versuch brauche ich dringend einen zusätzlichen Mann, wie Sie; wäre das nicht ein sinnvollerer Einsatz, als hier vorm Brett zu stehen“!? Er kannte meine Vor-Karriere!

Somit kam ich hautnah und intensiv in die Geschicke mit und um den Wankel-Motor. Jetzt in Pension und durch Recherchearbeiten zum Thema >Wankel und Mercedes-Benz C 111< wird mir bewusst, wie bis zum „AUS“ dieser Entwicklungen doch durchgängig auf relative Geheimhaltung wert gelegt wurde! Meine neuerlichen Kontakte zu „Wankel-Leuten“ von damals bei Audi / NSU ließen mich regelrecht staunen, wie wenig da angekommen war von unserer Entwicklungsarbeit, obwohl wir uns per Lizenz-Vertrag doch zum Austausch verpflichtet hatten. Was und wie intensiv am Wankel-Motor damals, von 1965 bis zum endgültigen „AUS“ in 1976 bei Mercedes an einem Serien-Einsatz als Pkw-Motor gearbeitet wurde, ist also immer sehr verschleiert worden und geblieben.

Damit komme ich zum Rätsel vom Titel: Neben mehreren „Anläufen“ den Wankel-Motor als den idealen Antrieb für die Pkw-Flotte in die Produktion zu bringen, ist der oben abgebildete 4-Scheiben-Wankel-Motor mit K-Jetronic Benzineinspritzung, Drehmomentsaugrohr und Automatik-Getriebe der Motor für die SL-Typen R/C 107 für das Modell-Jahr 1976 gewesen.

Jetzt hier dann kurz im Stakkato-Stiel, „was denn da so geschah“: Ähnlich wie heute der Elektromotor als der Antrieb der Zukunft proklamiert und „befohlen“ wird, waren Ende der 1950 und 60-ger Jahre führende Entwicklungsteams der Automobil-Industrie von dem ingeniösen Funktionsprinzip des Dreh- oder später Kreis-Kolben-Motors des Herrn Felix Wankel überzeugt.

Der kleine, aber bedeutende Unterschied zu heute lag nur darin, dass beim Wankel-Motor technisch reizvolle Vorteile lockten, und man deswegen akribisch die Detailfragen anging! So war im Hause Daimler-Benz der Chef der Motorenentwicklung, Wolf-Dieter Bensinger überzeugt von dem kleinen leichten, aber auch leistungsstarken Rotationskolben-Motor seines Freundes Felix. Die Beiden waren schon Weggefährten in Sachen Motorentechnik in Zeiten des Krieges und sie verband dann durchgehend eine Männerfreundschaft, die sich befruchtend auf die
Weiterentwicklung auswirken sollte. Bensinger war überzeugt von den bahnbrechenden Vorteilen in punkto Antriebskomfort, Gewicht, Laufruhe UND fertigungstechnischen „Vereinfachungen“.

Wankel-Motor:

Ein dreieckförmiger Läufer „kreist“ in dem trochoidenförmigen Gehäuse, greift dabei auf eine Exzenterwelle und versetzt diese in Drehung, ähnlich der Kurbelwelle am Hub-Kolben-Motor. Bei diesem Ablauf entstehen veränderliche Räume, die zur Verdichtung des angesaugten Kraftstoff-Luft-Gemisches führen. Hier wird dann gezündet; der einsetzende Verbrennungsdruck bedingt das „Wegdrehen“ des Läufers mit anschließendem Ausstoßen der Abgase.

Spätestens mit der formalen Genehmigung des Lizenz-Vertrages mit dem Konsortium NSU/Wankel am 11. Dezember 1961 waren Grundstein und Auftrag erteilt, das Prinzip Wankel-Motor auf seine Tauglichkeit als Pkw-Antrieb intensiv zu erforschen. Eine ca. 60 Mann starke Mannschaft aus Konstrukteuren und Versuchsingenieuren unter Federführung von Wolf-Dieter Bensinger konnte ihre „Arbeit“ aufnehmen. Hier wird schon deutlich, wie ernst diese Entwicklung genommen wurde, denn der Bereich für Weiterentwicklung Hub-Kolben-Motor war zunächst nur unwesentlich größer.

Hier befasste man sich, dito unter Chef Bensinger mit der Evolution des 6-Zylinder-Reihenmotors, und außerdem ging ein komplett neuer kleiner 8-Zylindermotor in Planung. Ein Wettbewerb der beiden Motorarten war programmiert, der immer wieder zu dem Spagat führte, wo liegt die Priorität!? Wie man weiß, hat der renovierte 6-Zylinder (M 110) letztlich das „Rennen“ gewonnen, und es entstand auch der „kleine“ V8 in Form des späteren M 116.

In der folgenden Zeit ab 1963 wurden akribisch 1- und 2-Scheiben-Aggregate konstruiert, gebaut und mechanisch, wie verbrennungs-technisch untersucht und erprobt. Es ging hierbei zunächst tatsächlich darum – wie auch später immer wieder proklamiert – , das Dicht-System in den Spitzen des Läufers und an den Seitenteilen zu optimieren, weil die sogenannten Dichtleisten einer der „Knackpunkte“ am „Wankel“ waren und auch lange Zeit blieben!

Als dann Anfang 1962 der erste 20-Stunden-Dauerlauf des Daimler-Wankel-Motors M 70 F präsentiert werden konnte, gab es nun auch „grünes Licht“ und eine Budget-Aufstockung für die umfangreiche Erprobung im Fahrzeug: der Einsatz eines 2-Scheiben-Aggregates nach Daimler-Vorgaben wurde für die Mittelklasse, damals die Baureihe W 114 / 115 anvisiert. Als Leistunsvorgabe sollte 180 PS die Zielmarke sein, um erstens den zum Vergleich genommenen 6-Zylinder W 189 zu übertreffen und zweitens die Konkurrenz im Blick zu behalten. Auch wurde bekannt, dass NSU/Wankel (später in AUDI/NSU umbenannt) intensiv an der Serien-Freigabe ihres Mittelklasse-Wagens Ro 80 mit Wankel-Motore arbeitete.

In den folgenden Jahren wurde die Versuchsflotte sukzessive ausgebaut, und es wurde die Mechanik des Motors weiter verbessert. Diese Baustufe wurde nun in M 170 F umbenannt. Das Dichtleisten-Problem und die sogenannten Rattermarken im Gehäuse wurden weitestgehend beherrscht durch neues Material und Beschichtung. Es wurden über 30 Motoren dieses Typs in 2- und 3-Scheiben-Version gebaut und umfangreich in die Fahrzeugerprobung gegeben; sogar ein Einsatz im Unimog wurde erwogen und dort „probiert“!

Nach ersten guten Ergebnissen nun auch im Straßen-Dauerlauf und aus den Erfahrungen aus über 100 gebauten Motoren wurden die Planungen für einen Serien-Einsatz mit dem nun M 950 benannten 2-Scheiben-Wankel-Motor im W 114 für Ende 1970 konkreter. Es flossen schon Karosserie-Änderungen im Bereich des Getriebe- und Kardan-Tunnels ein, und es wurden größere Mulden im Fahrzeugboden notwendig, um die größeren Schalldämpfer unterzubringen.

Allerdings rückte auch die Ablösung der Baureihe W 114/15 näher und der W 123 trat auf den Plan. Der Vorstands-Entscheid, der Einsatz des Wankel-Motors wird erst im W 123 erfolgen, lies dann nicht lange auf sich warten.

Das hatte aber nun zur Folge, dass wegen des völlig neuen Vorderwagens (Wegfall Fahrschemel, andere Radaufhängung) eine sehr umfangreiche Umkonstruktion des 2-Scheiben-Motors notwendig wurde. Es entstand der neue Grundtyp M 951 zunächst als 2-Scheiben-Motor. Die Zeit bis zum Serien-Anlauf der neuen Mittelklasse wurde dann erfolgreich genutzt, um Standfestigkeit zu verbessern und Kraftstoffverbrauch und vor Allem Ölverbrauch weiter zu senken.

So war Ende 1973 ein konkurrenzfähiger Wankel-Motor mit ca. 175 PS bei 6500/min und fülligem Drehmoment-Verlauf zum Einsatz W 123 ab 1974 einsatz-bereit. Die Leistungsdaten des neuen 6-Zylinder-Motors M 110 reduzierten sich beim Übergang von D-Jetronik auf die Bosch-K-Jetronic von 185 auf 177 PS. So lagen die beiden Motore hier auf gleichem Niveau, wohingegen der Komfort-Charakter des Wankel nach-wie-vor bestach.

Jung-Achtundsechziger: Die Limousinen und Coupés der „Strich-Acht“-Baureihen W 115/114 setzen ab 1968 Maßstäbe im modernen Automobildesign.

Mercedes-Benz 230 E (W 123, 1981). Studioaufnahme von rechts vorn.

Der weltweite Rückzug bedeutender Lizenznehmer wie Ford, GM, Curtiss Wright, u.A. und letztlich der Negativ-Auftritt des Wankel-Wagens von Audi/NSU bliesen einen derartigen Gegenwind in die Chefetage, dass man das Entwicklungsprogramm gewaltig reduzierte und sich ab Mitte 1974 nur noch auf einen Einsatz des 4-Scheiben-Motors im SL-Sportwagens R/C 107 konzentrierte. Eine Stückzahl von 150/Monat sollte an ausgewählte Kunden vergeben werden, die dadurch in besonderem Kontakt zur Entwicklung blieben, um jedwede Gewährleistung auf dem kurzen Weg zu sicheren und vor Allem, um Erfahrungen aus Kundenhand zu bekommen. Auf Basis des 2-Scheiben-M951 entstand ein neuer 4-Scheiben-Motor mit den neusten Entwicklungen: Eine speziell für diesen Motor angepasste Stufensaugrohr-Anlage sorgte für fülliges Drehmoment schon ab 2000/min.

Wie hier unschwer zu erkennen, brauchte die M/R 951, 4S – Wankel-Motor keinen Vergleich mit seinen Konzern-Brüdern zu scheuen; im Gegenteil durch seinen frühen Drehmoment-Aufbau lag er gleichauf mit dem hubraumstarken M 117, in der maximalen Leistung sogar deutlich darüber.

Durch die Anwendung der nun generell eingesetzten K-Jetronik senkten sich die Kraftstoff-Verbräuche signifikant auf auf das Niveau des M 117, des 4,5 Liter-V8! Für den Einsatz im R/C 107 war wegen der engen Platzverhältnisse im Motorraum und der gebotenen Bodenfreiheit die Trockensumpf-Ölversorgung zwingend; die lästige Ölverschäumung verschwand, was den Ölverbrauch noch mal deutlich senkte.

Gepaart mit dem neuen 4-Gang-Automatikgetriebe stand das beste Wankel-Antriebsaggregat von Mercedes-Benz für den nahen Serien-Anlauf der Baureihe „107“ für das Baujahr 1976 bereit (siehe Bild ganz oben)! Noch im Oktober 1975 wurde ein Los von 10 Vorserienmotore im Werk 10 (vor)-produziert, um in die ersten C 107 (WX) eingebaut zu werden!

Als Beteiligter und „erfahrender“ Benutzer kann ich nur sagen: DER ideale Komfort- plus Sport-Antrieb für diesen auch sehr komfortablen Sportwagen von Mercedes!

Unser C 107 mit seinem 4-Scheiben-Wankel-Motor (es wurden 4 solcher Prototypen gebaut)

Allein, es kam anders: Im Dezember 1975 wurde per Vorstandsbeschluß das komplette „AUS“ für den Einsatz UND die Weiterentwicklung des Wankel-Motors im Hause Daimler-Benz entschieden. Unschwer zu erkennen bleibt, dass bei Daimler-Benz über zehn Jahre (1965 bis 1975) intensiv, akribisch und zielführend am System Wankel-Motor geforscht und erprobt wurde. Prof. Wolf-Dieter Bensinger war als exzellenter Motoren-Techniker davon überzeugt, die gesamte Pkw-Flotte bei Daimler mit einer Generation 2-, 3- und 4-Scheiben-Motoren abzudecken sei.

Meines Erachtens hat dann allerdings auch hier dann die Politik – in diesem Fall die „Welt-Politik“ – mit dem Gerücht der Öl-Verknappung regulierend eingegriffen. Der ist ein Schelm, der hier Parallelen zu heute – zum großen „E“ – sieht!? Der Wankel-Motor hat einen system-eminenten Nachtteil, und das ist sein schlechterer Wirkungsgrad; sein Kraftstoff-Verbrauch wird immer dem des Hub-Kolben-Motors unterlegen sein. Als nun nur noch verbrauchsarme, kleinere Motore gefordert wurden, musste die Entscheidung gegen ihn fallen!

Auflösungsbild: