Dossier: Hans Nibel

Hans Nibel wurde heute vor 80 Jahren Chefkonstrukteur der Daimler-Benz AG. Er übernahm die Tätigkeit von Ferdinand Porsche, der aus dem Unternehmen ausschied. Beide waren bereits in den Jahren 1925 bis 1926 im gemeinsamen Konstruktionsbüro der Interessengemeinschaft von Benz & Cie. und der Daimler-Motoren-Gesellschaft tätig, bevor die Unternehmen 1926 zur Daimler-Benz AG fusionierten. Davor war Nibel seit 1908 Chefkonstrukteur bei Benz & Cie. gewesen.

Für uns Grund genug, ihm dieses Dossier zu widmen.
Der Ingenieur Hans Nibel (1880 bis 1934) prägte als Chefkonstrukteur von Benz & Cie. und später der Daimler-Benz AG in erheblichem Maß die Produkte beider Unternehmen. Zu den von ihm konstruierten Fahrzeugen zählen beispielsweise der „Blitzen-Benz“ (1909), der „Große Mercedes“ Typ 770 (1930), der Mercedes-Benz 170 (1932) und der Silberpfeil-Rennwagen W 25 (1934). Als Vorstandsmitglied ist er zudem Mitgestalter der Fusion von Benz & Cie. und der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) zur Daimler-Benz AG im Jahr 1926.
Geboren wurde Hans Nibel am 31. August 1880 in Olleschau/Mähren, damals in Österreich-Ungarn und heute in Tschechien gelegen. Sein Vater war Fabrikdirektor, vermutlich einer Papierfabrik, so dass sein Sohn frühzeitig ein technisches Umfeld erlebte. Er war ein gelehriger Schüler, wie ein Zeugnis aus dem Jahr 1899 ausweist, und die Note „vorzüglich“ beispielsweise in den Fächern Mathematik, Physik und Zeichnen gab einen ersten Hinweis auf Neigungen, die Hans Nibel später beruflich nutzen würde. Zum Studium schrieb er sich an der Technischen Hochschule München ein, die er als Diplom-Ingenieur verließ. Er war zunächst bei verschiedenen kleineren Maschinenfabriken tätig, bevor er am 1. März 1904 als Konstrukteur bei Benz & Cie. in Mannheim eintrat. Dort begleitete er den Aufstieg des Unternehmens zu einem führenden Autohersteller.

Nibel wurde schon bald stellvertretender Bürochef und 1908 im Alter von nur 28 Jahren schließlich zum Leiter der Konstruktionsabteilung befördert. Unter seiner Beteiligung und Federführung entstanden zahlreiche Fahrzeuge, darunter kleinere Typen, die das Unternehmen auf eine breitere wirtschaftliche Basis stellten, wie etwa der 1910 vorgestellte Benz 6/14 PS, aber auch Fahrzeuge der Luxusklasse, die weltweit Botschafter für die herausragenden Automobile aus Mannheim waren. Eng verbunden mit dem Namen Nibel ist zudem der „Blitzen-Benz“, damals das leistungsstärkste und schnellste Automobil der Welt. Er wurde 1909 erstmals vorgestellt und setzte 1911 schließlich die Weltrekordmarke für das schnellste Automobil auf 228,1 km/h, die bis 1919 ungebrochen bleiben sollte.

Derlei Erfolge förderten Nibels Karriere. Im Dezember 1911 wurde er Prokurist von Benz & Cie., und wie zur Bestätigung der Verdienste seines Chefkonstrukteurs erhielt das Unternehmen 1912 den Kaiserpreis für den besten deutschen Flugmotor, damals ebenfalls im Lieferprogramm der Firma.

Einige Male machte Nibel auch bei Motorsportveranstaltungen auf sich aufmerksam. So erhielt er beispielsweise 1909 bei der Prinz-Heinrich-Fahrt den „Preis der Erbprinzessin von Sachsen“, 1912 bei der Internationalen Österreichischen Alpenfahrt die „Silberne Plakette“ und 1914 bei der Karpathenfahrt den „Preis des Ministeriums des Innern“.

Verdienste für das Automobil und das Unternehmen

Im August 1917 wurde Nibel als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand von Benz & Cie. aufgenommen. Dies war nicht nur eine Anerkennung für seine Verdienste als Automobilkonstrukteur, sondern spiegelt auch seine Leistungen für Benz & Cie. in den Jahren des Ersten Weltkriegs wider. Wie damals üblich wurde auch das Produktionsprogramm von Benz & Cie. auf Militärbedarf umgestellt, verbunden mit zahlreichen Neukonstruktionen, die unter Nibels Ägide entstanden. Somit hatte er großen Anteil daran, das Unternehmen erfolgreich durch diese nicht einfachen Jahre zu bringen.

Benz & Cie bestellten Nibel im August 1922 zum ordentlichen Vorstandsmitglied. Im gleichen Jahr verlieh die Technische Hochschule Karlsruhe ihm den Titel Dr.-Ing. e.h. in Anerkennung seiner großen Verdienste als Konstrukteur und Techniker. Ebenfalls 1922 baute Nibel zusammen mit dem Leiter des Mannheimer Konstruktionsbüros für Fahrgestelle, Max Wagner, zum ersten Mal Rennwagen in Stromlinienform und mit Einzelradaufhängung, die bei internationalen Wettbewerben für Rennerfolge sorgten. Darüber hinaus beeinflusste er maßgeblich die Verwendung des Dieselmotors in Straßenfahrzeugen. 1922 stellte Benz & Cie. einen Ackerschlepper mit dem selbstzündenden Motor vor, das erste Diesel-Straßenfahrzeug der Welt.

Mit Beschluss der Interessengemeinschaft von Benz & Cie. und der Daimler-Motoren-Gesellschaft im Jahr 1924 trat Nibel auch in den Vorstand der DMG ein. Im gemeinsamen Konstruktionsbüro war er gleichberechtigt neben Ferdinand Porsche tätig, wobei dieser jedoch verantwortlich zeichnete. Nibel war ein starker Befürworter des Unternehmenszusammenschlusses, der 1926 erfolgte – woraufhin er in den Vorstand der neuen Daimler-Benz AG einzog. Ebenfalls 1926 verlegte er seine Tätigkeit endgültig ins Untertürkheimer Konstruktionsbüro des neuen Unternehmens. Als Ingenieur, aber auch als Vorstand des Unternehmens war er unter Führung des Vorstandsvorsitzenden Wilhelm Kissel einer der Protagonisten, die den Zusammenschluss der beiden ältesten Automobilhersteller der Welt erfolgreich meisterten.

Technischer Direktor der Daimler-Benz AG

Zum 1. Januar 1929 wurde Hans Nibel verantwortlicher Technischer Direktor in der Nachfolge von Ferdinand Porsche. Dessen Fahrzeugkonstruktionen verfeinerte er. So machten beispielsweise nicht zuletzt seine Verbesserungen aus dem Mercedes-Benz 8/38 PS Typ Stuttgart 200 (Baureihe W 02) ein erfolgreiches Auto, das der Marke in Zeiten der damaligen Weltwirtschaftskrise beachtliche Stückzahlen bescherte. Die sportlichen Typen S, SS, SSK und SSKL (W 06, 1926 bis 1934) sowie die noble „Nürburg“-Reihe (W 08, 1929 bis 1939) verbesserte Nibel, so dass sich die einen im internationalen Sportgeschehen, die anderen im internationalen Markt der Luxusautomobile vorzüglich behaupteten. Und der erste „Große Mercedes“ Typ 770 (W 07, 1930 bis 1938) verankerte Mercedes-Benz im internationalen Bewusstsein als jene Marke, die die besten Autos der Welt baut – ebenfalls ein Verdienst Nibels, denn als Chefkonstrukteur verantwortete und verstand er immer das gesamte Fahrzeug. Zu den technischen Neuerungen des „Großen Mercedes“ gehörten ein mit Kühlrippen versehenes Kurbelgehäuse aus Leichtmetall und eine neunfach gelagerte Kurbelwelle aus Chromnickelstahl mit angeschmiedeten Gegengewichten.

Es folgte der Typ 170 (W 15, 1931 bis 1936), in dem wichtige Patente umgesetzt wurden: zum Beispiel für die Einzelradaufhängung, die Einzelradlenkung und ein „Schnellganggetriebe“ nach dem System Mercedes-Benz-Maybach. Das Getriebe lieferte für jede Geschwindigkeit und Geländeverhältnisse die passende Übersetzung, zugleich wirkte es bei höheren Geschwindigkeiten drehzahl- und damit verbrauchsmindernd. Diese und weitere Neuerungen flossen nach und nach auch in andere Baureihen von Mercedes-Benz ein. Einstweiliger Gipfel war der 1932 präsentierte und gleichfalls von Nibel verantwortete Kompressor-Typ 380 (W 22), dessen Nachfolger die noch berühmteren Typen 500 K/540 K (W 29) sind; insbesondere diese Fahrzeuge hoben die Kompressortechnik weg von der seitherigen Sportwagencharakteristik auf das Niveau kultivierter Luxuswagen. Ihre Karosserien aus werkseigener Fertigung  setzten Maßstäbe im Fahrzeugdesign – weltweit wurden sie in der Ganzheit ihres Entwurfs als Glanzstücke von Mercedes-Benz angesehen und machten damit den Begriff „Sindelfinger Karosserie“ zu einem neuen Qualitätsbegriff.

1934 erlebte im Typ 130 (W 23) ein gänzlich anderes und nicht minder revolutionäres Antriebskonzept, das Nibels Handschrift trägt, die Marktpremiere: Das Fahrzeug hatte einen Heckmotor. Es erwieß sich zwar, zusammen mit den weiterentwickelten Typen 150 (mit Mittelmotor) und 170 H, im Portfolio der Marke als etwas glücklos, doch technisch galt die Nibel-Konstruktion als wegweisend. Umso erfolgreicher war der Mercedes-Benz 170 V (W 136, 1936 bis 1942), den Nibel noch auf den Weg brachte – das erste Fahrzeug mit einem X-förmigen, leichten und stabilen Ovalrohr-Rahmen.

Für Furore sorgte außerdem der von Nibel für die 750-Kilogramm-Formel konstruierte Rennwagen W 25, der in den Jahren 1934 bis 1937 mit Fahrern wie beispielsweise Rudolf Caracciola dem Unternehmen wichtige Rennerfolge bescherte und zudem die Tradition der Silberpfeile begründete.

Die Handschrift Nibels tragen auch zahlreiche Flugmotoren der Daimler Benz AG der 1930er Jahre.

Am 25. November 1934 war Hans Nibel am Hauptbahnhof Stuttgart gerade im Begriff, den Schnellzug nach Berlin zu besteigen, um dort unter anderem die Rennsportsaison 1935 vorzubereiten – doch ein Herzschlag riss ihn (und damit einen der fähigsten Automobilingenieure der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg) aus dem Leben. Die Daimler-Benz AG verlor ihren Chefingenieur – und konnte bei der Gestaltung der nachfolgenden Jahre gleichwohl auf das reiche technische Erbe zurückgreifen, das Nibel hinterließ. So darf beispielsweise der zwei Jahre nach Nibels Tod präsentierte Mercedes-Benz 260 D (W 138, 1936 bis 1940) durchaus als Vermächtnis des Ingenieurs angesehen werden: Nibel hatte die anfängliche Entwicklung des ersten Serien-Personenwagen mit Dieselantrieb noch begleitet; sie war äußerst langwierig und greift auch zurück auf seine frühen Erfahrungen mit dem ersten Diesel-Straßenfahrzeug, dem Ackerschlepper von Benz & Cie.

„Mit Herrn Dr. Hans Nibel verliert die Daimler-Benz AG einen hervorragenden Konstrukteur und bedeutenden Techniker von internationalem Ruf und Rang, dessen konstruktive Schöpferarbeit Musterbeispiel für die technische Entwicklung des Automobil- und Motorenbaus der ganzen Welt gewesen ist“ – so beschrieb das Unternehmen in einem Nachruf Hans Nibel und fasst wesentliche Verdienste zusammen: „Man kann kaum von dem großen Erfolg des Fahrzeug-Dieselmotors, den unabhängig gefederten Rädern, von Schwingachsen, von Schnellganggetrieben, von neuzeitlichen Karosserie- und Motorenbau sprechen, ohne dass nicht sein Name an erster Stelle genannt werden muss.“

Die von Hans Nibel beeinflussten Fahrzeuge prägten über eine lange Zeit und deutlich über seinen Tod hinaus den guten Ruf der Marke Mercedes-Benz. Viele seiner Konstruktionen blieben gültig bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damit kann er als einer der einflussreichsten Automobilkonstrukteure nicht nur von Mercedes-Benz, sondern der gesamten Branche angesehen werden.

Sein Nachfolger wurde Max Sailer, der die Tätigkeit krankheitshalber nur bis Ende 1941 ausüben konnte. Danach wurde Fritz Nallinger bis zu seiner Pensionierung im Jahr1965 Chefingenieur.

Lebenslauf Hans Nibel

geboren: 31. August 1880 in Olleschau/Mähren

gestorben: 25. November 1934 in Stuttgart

Der Ingenieur Hans Nibel (1880 bis 1934) prägte als Chefkonstrukteur von Benz & Cie. und später der Daimler-Benz AG in erheblichem Maß die Produkte beider Unternehmen. Zu den von ihm konstruierten Fahrzeugen zählen beispielsweise der „Blitzen-Benz“ (1909), der „Große Mercedes“ Typ 770 (1930), der Mercedes-Benz 170 (1932) und der Silberpfeil-Rennwagen W 25 (1934). Als Vorstandsmitglied ist er zudem Mitgestalter der Fusion von Benz & Cie. und der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) zur Daimler-Benz AG im Jahr 1926.

Wichtige berufliche Stationen:

Studium an der Technischen Hochschule München, Abschluss als Diplom-Ingenieur

1904, 1. März: Eintritt bei Benz & Cie.

1908: Ernennung zum Leiter des Konstruktionsbüros

1911, 28. Dezember: Leiter des Konstruktionsbüros, Prokurist

1917, 16. August: Stellvertretendes Vorstandsmitglied

1922, 25. August: Ordentliches Vorstandsmitglied

1922, 8. November: Verleihung des Titels Dr.-Ing. e.h. durch die TH Karlsruhe

1929, 1. Januar: Technischer Direktor der Daimler-Benz AG als Nachfolger von Ferdinand Porsche

1929, 1. März: 25jähriges Dienstjubiläum