Was geschah mit Wagen Nr. 28 und den anderen….

Vorwort: Dieser Teil 2 der Geschichte des GP de l’ACF versucht, Licht ins Dunkel zu bringen und so genau wie möglich nachzuvollziehen, was nach dem 4. Juli 1914 mit all den anderen Mercedes-Rennwagen, die am Großen Preis von Frankreich teilnahmen und ihrem „Leben nach dem Ruhm“ geschah, beginnend mit der Geschichte des Siegerwagens von Christian Lautenschlager, der mit der Startnummer 28.

Im Laufe des letzten Jahrhunderts sind viele Exposés über diese Rennwagen und ihrem jeweiligen Werdegang geschrieben worden. Es wurden Fehler gemacht, wie sie bereits einige Tage nach dem Rennen schon in Zeitungsartikeln erschienen (siehe die Verwechslung der Startnummern von Wagen Nr. 14 und Nr. 40 in „L’Auto“).

Ungenauigkeiten, die in der Regel auf einen unzureichenden oder fehlenden Zugang zu genauen Informationen zurückzuführen sind, verwirrten oft auch Generationen von Forschern und Historikern.

Doch beginnen wir mit einer kleinen Anekdote: Wie bereits erwähnt, begann der Erste Weltkrieg nur wenige Wochen nach dem dreifachen Mercedes-Sieg in Lyon, in einer angespannten Atmosphäre der französischen Feindseligkeit gegenüber allem Deutschen.

In diesem Umfeld und in Anbetracht der Tatsache, dass Deutschland zuvor den Grand Prix von 1908 mit einem Mercedes und zwei Benz-Rennwagen gewonnen hatte, was zur Absage aller französischen Grand-Prix-Veranstaltungen bis 1912 führte, und da Frankreich nun eine weitere Niederlage durch den Dreifachsieg der Mercedes Rennwagen erlitten hatte, begannen Gerüchte zu kursieren, der ‚Automobile Club de France‘ habe beschlossen, dass es 1915 keinen ACF-GP geben würde.

Tatsächlich sahen weder die Presse noch die Organisatoren einen Grund, den ACF-GP 1915 abzusagen, angesichts des beispiellosen Publikumserfolgs im Jahr 1914, der sowohl Herrn de Knyff (Präsident der Sportkommission) wie der gesamten Sportkommission die herzlichen Glückwünsche des ACF-Komitees einbrachte. Dennoch protestierte ein Mitglied auf der Jahreshauptversammlung gegen die Organisation einer Veranstaltung, die „der ausländischen Industrie den Vorrang vor der französischen einräumte“, und stellte fest, dass „Frankreich und das gesamte französische Publikum schmerzlich enttäuscht waren“, und fragte: „Wäre es nicht besser, in Zukunft solche Niederlagen zu vermeiden?“. Er forderte die völlige Absage eines weiteren Grand Prix von Frankreich im folgenden Jahr, um eine neue Blamage zu vermeiden.

Er blieb jedoch die einzige Gegenstimme.

Auf die Frage der Presse, ob es eine Absage geben werde, antwortete der Präsident De Knyff: „Das steht überhaupt nicht zur Debatte, und die Sportkommission ist der Meinung, dass der Grand Prix im nächsten Jahr stattfinden muss. Die Organisation würde nur in einem einzigen Fall abgesagt werden, nämlich wenn die Kommission und der ACF-Ausschuss ein entsprechendes Gesuch von den [Auto] Herstellern erhielten, insbesondere von jenen [Herstellern], die regelmäßig an den Rennen teilnehmen.“

Die Presse fügte in einem Artikel des Reporters J. Miral im „l’Auto“ hinzu: „Wir sollten nicht verzweifeln. Wir werden nächstes Jahr einen GP haben, denn ich bezweifle sehr, dass Peugeot, Delage, Schneider, Alda nicht ihre Revanche fordern werden. Und wenn wir gut informiert sind, könnten auch einige andere „wichtige [Autohersteller]“ mitmachen.“

War es Zweckoptimismus, war es Selbstbetrug, war es Naivität? Es scheint, dass weder Herr Miral, noch Präsident De Knyff, noch irgendein anderes Mitglied des ACF oder der Commission Sportive glaubten, dass ein Krieg bevorstand, und dass der nächste GP de l’ACF nicht 1915, sondern erst 6 Jahre später, 1921, stattfinden würde!


Der Sieger des Grand Prix de l’ACF: Wagen Nr. 28

Unmittelbar nach dem Rennen in Lyon machte sich der Siegerwagen Nr. 28 von Christian Lautenschlager zusammen mit dem Zweitplatzierten Nr. 14 und dem Drittplatzierten Nr. 40 auf den Weg nach Stuttgart, wo sie am 8. Juli eintrafen. Der Empfang in Stuttgart war, gelinde gesagt, enthusiastisch. Schätzungsweise 20.000 Menschen säumten die Straßen entlang der Werkszufahrt. Die DMG organisierte einen Festabend für die gesamte Belegschaft, die Honoratioren der Stadt und andere Ehrengäste, um den Sieg der Mercedes-Wagen zu feiern.

Einige Dokumente behaupten, dass der Wagen Nr. 28 gereinigt und dann nach Berlin geschickt wurde, wo er bis etwa zum 15. Juli im Mercedes-Autohaus ‚Unter den Linden Nr. 70‘ ausgestellt worden sei. Das einzige Bild, das mir bekannt ist, zeigt ein zwar ähnlich aussehendes Auto, doch handelt es sich bei diesem Wagen nicht um einen 4,5-Liter, 115 PS, ACF GP-Rennwagen, sondern um einen Mercedes 90 PS Sportwagen von 1913, wahrscheinlich um den von O. Salzer gefahrenen. Wäre es der ACF-Sieger von 1914 gewesen, hätte man zumindest erwartet, dass er mit einem Plakat und Blumen zuvorderst in der Mitte des Ausstellungsraums aufgestellt worden wäre!

Außerdem trägt der auf dem Bild des Berliner Autohauses ausgestellte Wagen keine Startnummer, und sein Auspuff befindet sich unter dem Wagen, was sich von allen 5 Wagen, die am Rennen in Lyon teilnahmen, schon mal völlig unterscheidet.

Seltsamerweise sind andere Fotos dieses Autohauses, auf denen der Wagen Nr. 28 zu sehen wäre, nirgends zu finden. Sicherlich wäre ein solches Ereignis wie die Ausstellung eines siegreichen Rennwagens im  Mercedes-Autohaus „Unter den Linden“ in der Hauptstadt Berlin der Anlass von PR-Fotos für die Firma gewesen…es sei denn, solche Aufnahmen sind tief im Mercedes-Archiv vergraben…kaum vorstellbar…

Es mag sein, dass weder der eigentliche Sieger-Mercedes – noch einer der beiden anderen Gewinner – jemals nach Berlin ging. Tatsächlich besagen die meisten Dokumente, dass die Autos in Paris (Sailers Nr. 14, der kurz davor stand, vom französischen Kriegsministerium beschlagnahmt zu werden), London (Lautenschlager’s Nr. 28) und Brüssel (Pilette’s Nr. 41) ausgestellt wurden, Berlin erwähnen sie nicht.

Wir wissen jedoch mit Sicherheit, dass Wagen Nr. 28 an Milnes-Daimler Ltd. nach London geschickt wurde, dort um den 15. Juli herum eintraf, und in den Ausstellungsräumen von Ducros-Mercedes in der 132 Long Acre  ausgestellt wurde. Obwohl Großbritannien kurz vor dem Kriegseintritt gegen Deutschland stand, veranstaltete Milnes-Daimler-Mercedes am 17. Juli ein großes Bankett im mondänen „Trocadero“- Restaurant in London (das dem Teemagnaten J. Lyons gehörte, und das übrigens auch für seine „chambres séparées“ bekannt war), um den Dreifachsieg von Mercedes beim Großen Preis von Frankreich 1914 zu feiern.

Der Mercedes-Enthusiast Gordon Watney (1876-1944), ein bekannter Rennsportenthusiast, fuhr in Brooklands eigene Rennen und betrieb außerdem Gordon Watney’s Garage und Rennstall in Weybridge. Er hatte einen guten Ruf als Autotuner, der Mercedes-Autos überholte, modernisierte und umbaute (einen dieser Watney-Mercedes  zu fahren, galt als Inbegriff des aufregenden Edwardianischen Autofahrens). Zur Feier des 1-2-3-Siegs beim ACF-Grand-Prix-Rennen veranstaltete Gordon Watney ebenfalls eine Feier und kündigte bei dieser Gelegenheit an, dass er den von Lautenschlager in Lyon gefahrenen Siegerwagen kaufen, und ihn beim Brooklands-August-Rennen 1914 einsetzen würde.

Die Zeitschrift „Autocar“ berichtete über Gordon Watney, und dessen Behauptung, kurz nach dem Rennen im Juli 1914 den Siegerwagen Nr. 28 erworben zu haben. Eine der Bedingungen für den Verkauf durch die DMG sei
jedoch gewesen, dass Watney den Wagen 1914 bei keinem Rennen in Großbritannien einsetzen dürfe. Watney war anscheinend darüber ziemlich verärgert, da ihm diese Bedingung nicht mitgeteilt worden war, bevor er dem
Kaufpreis von 1200 GBP zustimmte. Außerdem hätte er bereits die Teilnahme des Wagens am Brooklands-Rennen angemeldet, und einen Rennwagen zu kaufen, mit dem man an keinem Rennen teilnehmen könne, sei völlig unsinnig. Auf jeden Fall erklärte die DMG, dass der Wagen in 132 Long Acre sowieso ausgestellt wäre, und dass einer der anderen ACF-GP-Rennwagen überholt und ihm verkauft werden könne. Watney wollte nichts davon wissen. Entweder der Siegeswagen Nr. 28 oder keinen! Vielleicht war dies der Punkt, der zu dem an mehreren Stellen angedeuteten Rechtsstreit führte? Wie dem auch sei, Mercedes weigerte sich, ihm diesen Wagen zu verkaufen, und das Geschäft kam nicht zustande.

Dann begann der Erste Weltkrieg, und die Geschichte ACF-GP Wagen Nr. 28 geriet ein wenig durcheinander. Für unsere Zwecke ist die nachprüfbare Tatsache wichtig, dass der Wagen in London bei Kriegsanfang versteckt wurde, und zwar offenbar in einem Lagerhaus oder Depot, anderen Quellen zufolge bei Hooper& Co., einer Karosseriefirma in Westminster, unweit von 132 Long Acre gelegen. Wie dem auch sei, er wurde dort von Hauptmann, später Oberstleutnant, Reginald Clive Gallop entdeckt.

Clive Gallop (1892-1960) war Ingenieur, Rennfahrer, und Pilot im Ersten Weltkrieg. Er war mit Louis Zborowski (1895-1924) befreundet, einem reichen Playboy, der über seine Mutter einen Teil des Astor-Vermögens geerbt hatte, und ein Mercedes- und Rennsportfan war. Sein Vater Elliot Zborowski war bereits Mercedes-Autos gefahren und erlitt einen tödlichen Unfall beim Bergrennen „Nizza – La Turbie“ 1903. Es liegt nahe, dass sich Zborowski und Gallop an der Brooklands-Rennstrecke kennenlernten.

Später sollte Gallop Zborowski beim Bau der berüchtigten „Chitty Bang-Bang I, II, III und IV“ helfen. (Autos, die, abgesehen vom Namen, absolut nichts mit dem fiktiven fliegenden „Chitty Chitty Bang Bang“-Auto aus dem Musicalfilm von 1968 gemein haben).

Louis Zborowski kannte den Long Acre-Ausstellungsraum und das Mercedes-Depot, und als Mercedes-Liebhaber ist es nicht unwahrscheinlich, dass Captain Gallop und Louis Zborowski über den GP-Sieger sprachen, und dass beide vom Versteck des Mercedes-Grand-Prix-Rennwagens wussten. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass C. Gallop in seiner Eigenschaft als Aero-Engine-Inspektor W. O. Bentley (einem anderen Rennfahrerkollegen und wie Gallop Kapitän im Royal Navy Air Service) am Vorabend des Krieges von der interessanten Entdeckung im Londoner Mercedes-Depot erzählte.

Auf jeden Fall beschlagnahmte der Royal Navy Air Service (auch bekannt als RNAS) den Mercedes und ließ Nr. 28 am 4. August 1914 von Kommandant Wilfred Briggs, Royal Navy, zu Rolls-Royce in Derby schleppen. Kommandant Briggs war Assistent Superintendent in der Motorenabteilung der RNAS und gehörte in dieser Funktion dem Stahlforschungsausschuß der Royal Navy an. Später arbeitete er für Rolls-Royce.

Der 4,5-Liter-Sieger des Grand Prix de l’Automobile Club de France wurde dann vollständig zerlegt und Stück für Stück ausgewertet, wobei dem Motor besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die erlangten Einsichten und das Wissen aus diesen Auswertungen halfen Rolls-Royce bei der Entwicklung der Flugmotoren „Hawk“ und „Eagle“, und W.O. Bentley bei der Entwicklung seines ersten Motors für Bentley Motors.

Der Aufenthalt des Wagens Nr. 28 bei der RNAS und was dort mit ihm geschah, wurde Jahre später sowohl von Clive Gallop als auch von W.O. Bentley bestätigt. Nach Abschluss der Auswertungen wurde der Wagen wieder
zusammengebaut und zu Mercedes nach Long Acre zurückgeschickt. Es ist anzumerken, dass Rolls-Royce
nach dem Krieg der DMG Lizenzgebühren für die Mercedes-Designaspekte zahlte, die sie für ihre „Hawk“- und „Eagle“-Triebwerke kopiert hatte.

Am 30. Januar 1920 wird der Mercedes-GP-Wagen Nr. 28, Sieger des ACF-Rennens 1914 in Lyon, von Mercedes in London an Louis Zborowski verkauft. Der Wagen erhält von der Grafschaft Canterbury das Nummernschild FN 3392. In Anbetracht der Tatsache, dass der „Friedensvertrag von Versailles“ bis Ende 1921 ein vollständiges Verbot aller deutschen Herstellern an automobile Rennveranstaltungen verhängt hatte, mag es für die DMG reizvoll gewesen sein, den Grand-Prix-Siegerwagen von 1914 an einen begeisterten Mercedes-Fahrer wie Louis Zborowski zu verkaufen, wohl wissend, dass dieser beabsichtigte, damit Rennen zu fahren.

Nachdem der GP-Wagen wieder in seine ursprüngliche Konfiguration gebracht wurde, nimmt er am 28. März 1921 am Osterrennen des „British Automobile Racing Club“ (BARC) in Brooklands teil. Am gleichen Tag kommt Zborowskis Wagen beim „Easter Senior Sprint Handicap“ als Erster ins Ziel, gefahren von seinem Freund J. Hartshorne-Cooper. Im selben Jahr nimmt er erfolgreich an weiteren Rennen teil. Mit Zborowski am Steuer erreicht der Wagen am 5. Juni 1922 den ersten Platz beim „Whitsunday Long Handicap“ auf der Brooklands-Strecke und den zweiten Platz beim „Whitsun Handicap for Private drivers“.

Im selben Sommer 1922 verkauft Louis Zborowski dann den Wagen an die Brüder Robinson. Zu diesem Zeitpunkt ist das Nummernschild des Wagens DD982, ausgestellt in der Grafschaft Gloucestershire. So beliebt und erfolgreich sie zu ihrer Zeit auch gewesen sein mögen, ich konnte keine Informationen über die beiden Brüder finden, außer dass sie Rennsport-Enthusiasten waren und zuvor Mercedes-Autos gefahren waren, und dass einer von beiden, A.W. Robinson, mit dem ACF-GP-Mercedes beim „100 Short“- Rennen in Brooklands im August 1922 den zweiten Platz gewann. Der Wagen nahm 1923 an keinem Rennen teil, da ein Pleuel gebrochen war, und wurde von den Robinson-Brüdern an einen C.G. Brocklebank verkauft, über den ich nur die Information finden konnte, dass er Peugeot-Rennwagen fuhr, und als „begeisterter Brooklands-Exponent“ beschrieben wurde.

Inzwischen scheint der GP-Mercedes von 1914 allmählich an Altersschwäche und, was noch viel ärgerlicher ist, an einem Mangel an verfügbaren Ersatzteilen zu leiden. Um 1927 lässt Brocklebank, der mit dem alten GP-Wagen nicht sehr erfolgreich war, den Motor aus dem Wagen ausbauen, und durch einen 25 PS starken französischen Berliet-Motor ersetzen [Anmerkung: Berliet baute zu diesem Zeitpunkt nicht nur Lastwagen, sondern auch Limousinen. Nach einer wechselvollen Firmengeschichte wurde Berliet (1899 gegründet) 1978 in
„Renault Trucks“ integriert].

Auf dem Mercedes 1914 GP-Chassis lässt C.G. Brocklebank anstelle der Rennwagenkarosserie eine  maßgeschneiderte Tourer-Karosserie von der Karosseriefirma Rawlence & Co. in London SE 1 anfertigen.
Irgendwann nach 1927 verkauft C.G. Brocklebank den Wagen an Captain G. Fane, der den Original-Mercedes-Motor wieder einbaut, die Berliet-Karosserie aber beibehält, und den Wagen bis 1932 für seine täglichen Besorgungen nutzt, bevor er ihn in einer Scheune (oder Schuppen) abstellt.

Herr Fane ist 1961 immer noch Eigentümer des Wagens, als Philip Mann (von 1969 bis 1971 Präsident des VSCC, des Vintage Sports-Car Club in Oxfordshire), der gerade im Begriff war, ein Register alter Rennwagen und ihres Verbleibs in Großbritannien zu erstellen, den GP-Wagen von 1914 aufspürt, und ihn auf dem Grundstück von Kapitän Fane in Kelvedon, Essex, findet.

Stanley Sears, ein Rennwagensammler (auch er ein ehemaliger Präsident des VSCC), möchte den ACF-GP-Sieger kaufen, aber… der Wagen steht nicht zum Verkauf! Schließlich, im März 1961, stimmt Mr. Fane, der die Sammlung alter Rennwagen von Stanley Sears begutachtet und bewundert hat, nach langem Drängen dem Verkauf des alten Mercedes mit Berliet-Karosserie an Mr. Sears zu.

Philip Mann, der den Wagen aufgespürt und entdeckt hat, erhebt allerdings einen Teilanspruch auf den Wagen.

Der Mercedes, der sich in einem beklagenswerten Zustand befindet, und noch immer das Kennzeichen DD 982 trägt, wird nun für Mr. Sears von dem renommierten Bentley-Restaurator H.J.K. Townshend in seine Rennkonfiguration von 1914 zurückversetzt.

Irgendwann zieht Stanley Sears aus dem Vereinigten Königreich weg – einer Quelle zufolge auf die Bermudas, einer anderen zufolge an die Algarve in Portugal. Wie dem auch sei, zumindest hat er sich an sonnigeren Gestaden zur Ruhe gesetzt… Kurz vor seinem Umzug aus England an seinen Ruhestandsort gibt er seinen Miteigentumsanteil am Mercedes GP-Rennwagen von 1914 an Philip Mann ab.

Der Wagen wird von H.J.K. Townshend in die Garage von Mr. Mann in Betchworth gebracht, wo die Restaurierung fortgesetzt und nach einer minutiösen, neun Jahre dauernden Prozedur abgeschlossen wird.

In der Ausgabe des ‚Motor Sport Magazine‘ vom Juni 1970 schreibt Bill Boddy in einem Artikel über die Restaurierung des Mercedes-GP-Wagens von 1914: „H.J.K. Townshend traf sich mit Lautenschlager, bevor dieser starb, und der alte Rennfahrer stellte Konstruktionszeichnungen zur Verfügung, die sich als sehr hilfreich erwiesen“.

So wie ich das lese, bedeutet dies, dass Herr Townshend, der mit der Restaurierung – des erst 1961 von Herrn Mann entdeckten Mercedes GP-Wagen mit Berliet-Karosserie – beauftragt wurde, von Christian Lautenschlager
technische Zeichnungen erhielt, die für die Restaurierung des Wagens in den Jahren nach 1961 nützlich waren. Christian Lautenschlager war allerdings am 3. Januar 1954, sieben Jahre zuvor, gestorben, also zu einem Zeitpunkt, an dem von einer Restaurierung noch überhaupt nicht die Rede sein konnte, und der Mercedes unerkannt in der Scheune von Mr. Fane vor sich hin rottete. Das soll mal einer verstehen!

Nach der fast ein Jahrzehnt dauernden Restaurierung wurde Herrn Mann‘s vollständig restaurierter „Grand Prix de l’ACF 1914“-Siegerwagen Nr. 28, nach gründlicher Überprüfung aller Markierungen an Fahrgestell und Motorblock, von Daimler-Benz als der tatsächliche Original-Rennwagen bestätigt, der von C.Lautenschlager am 4. Juli 1914 in Lyon gefahren wurde. In einer Erklärung aus den 1970er Jahren stellt Daimler-Benz fest, dass der im Museum ausgestellte Wagen Nr. 28 nicht das Original, sondern eine Rekonstruktion ist, eine Mischung aus Teilen der beiden ACF-GP-Werkswagen, die 1922 an der „Targa Florio“ teilnahmen.

Unmittelbar nach Abschluss der Restaurierung nimmt Philip Mann an dem vom ‚Veteran Car Club‘ organisierten „1000 Miles Rennen“ teil, und fährt seinen 1914er GP-Wagen vom Start in Hayes (Middlesex) nach London. Das neuntägige Rennen, das sein 70-jähriges Bestehen feiert und auf Fahrzeuge von vor 1900 bis 1914 beschränkt ist, startete am 1. Mai um 8.30 Uhr, und endete am 9. Mai 1970 in London. Der „wiedererwachte“ Mercedes ACF-Sieger galt als das faszinierendste Auto des Rennens.

Der bekannte britische Oldtimer-Sammler und -Händler Charles Howard erwirbt die „Nummer 28“ am 8. Oktober 1983 von Philip Mann und verkauft am 12. August 1984 den Rennwagen an den amerikanischen Sammler und Restaurator George Wingard, dem übrigens auch einer der berühmten und  von ihm völlig restaurierten Grand-Prix de l’ACF Wagen von 1908 gehört, der in Dieppe gefahren wurde.

Als das Auto 1984 von England zu ihm nach Oregon geliefert wurde, fragte sich George Wingard, ob er nicht einen riesigen Fehler beim Kauf des Rennwagens von 1914 gemacht hatte. Obwohl Philip Mann den Wagen in den sechziger Jahren restaurieren ließ, gab es zahllose Probleme, die den Mercedes-Sammler und ehemaligen Senator dazu veranlassten, eine vollständige Restaurierung von Grund auf vorzunehmen, die zwei Jahre in Anspruch nahm.

Das Ergebnis von Wingard‘s Engagement für historische Genauigkeit und restauratorische Perfektion führte zur Wiedergeburt von Lautenschlagers 1914er Mercedes Grand-Prix-Rennwagen, genau so, wie er am 4. Juli 1914 ausgesehen und funktioniert hätte.Mit der restaurierten Nr. 28 nahm George Wingard 1986 am Rennen in Monterey teil, mit dem er den Pebble Beach Cup gewann (pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum des Automobils).

Heute ist George Wingard immer noch stolzer Besitzer der beiden berühmten Mercedes-Rennwagen, des Grand-Prix-Renners von 1908 und des Grand-Prix-Siegers von 1914, der mit der Nummer 28.

Am 14.07.2023 erscheint der dritte – und letzte – Teil, der sich mit dem soweit bekannten Werdegang der anderen „Grand Prix de l’ACF 1914“ befasst, und einen Blick auf die Modellautos wirft, die im Laufe der Jahre von diesen Rennwagen hergestellt wurden.

Quellennachweis:

Gallica.bnf.fr/Bibliothèque Nationale de France; Gallica.bnf.fr/Musée Air France; L’Auto-vélo (April 1914, May 1918); Motor Sport (Oct 1941, June 1970, Dec 1970, Sept 1982); The Autocar (1925, 1928); George Wingard; Mercedes-Benz; Wikipedia. Photos: Gallica.bnf.fr/ Bibliothèque Nationale de France; Agence Rol; Agence Meurisse; Alamy;public domain


Anmerkung: Der obige Aufsatz basiert auf Recherchen, Artikeln und Schlussfolgerungen, die über einen Zeitraum von hundert Jahren von zahlreichen Reportern, früheren Besitzern, Forschern und Historikern auf der ganzen Welt erzielt wurden, sowie auf meine eigenen Recherchen. Obwohl jeder einzelne ein wertvolles neues Stück zur Korrektur und Vervollständigung des Puzzles beigetragen hat, bin ich nicht so vermessen zu glauben, dass dies das letzte Wort ist, denn jedes Jahrzehnt scheint zusätzliches Wissen zu den verschiedenen Werdegängen oder, sagen wir lieber, Irrungen und Wirrungen dieser fabelhaften Autos beigetragen zu haben…