Aus dem Archiv von Bernd D. Loosen: (Zur Abwechslung mal etwas anderes😊:ein 100-jĂ€hriger Artikel, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.)
Der JAZZ Mercedes
TatsĂ€chlich war der hiernach abgebildete und beschriebene Mercedes kein Wagen mit Knight-Motor, sondern ein 28/95 PS, mit Aluminiumaufbau, und dekoriert von einem damals berĂŒhmten KĂŒnstler namens Reutter. Immerhin
war der so berĂŒhmt, dass ich von ihm nirgendwo eine Spur fand. Na ja, damals gabâs eben noch kein Internet 😉.
Ăbrigens, die Dekorationen waren in die Karosserie eingeĂ€tzt und eingemeiĂelt. So, als Blickfang oder Werbung, wurde dieser Mercedes wĂ€hrend der IAA in Berlin (Sept-Okt 1921), und anlĂ€sslich der Olympia-Ausstellung in London (Dez. 1921) ausgestellt.
Was aus dem ĂŒberschwĂ€nglich dekorierten âArt-Decoâ-Wagen schlieĂlich wurde, ist unbekannt, aber er stand zum VerkaufâŠ
Hier nun der zeitgenössische, eher bissige Artikel eines englischen Reporters:
Der Autor, ein J. A. Ashton vom âTatlerâ, schrieb in seiner Kolumne „Petrol Vapours“ (BenzindĂ€mpfe), in der er eindeutig auslĂ€nderfeindliche, oberschichtliche (wohlgemerkt: das war vor 100 Jahren) britische Einstellungen der Nachkriegszeit zum Ausdruck brachte (Warnung, von britischem Humor keine Spur!):
Berlin, September/Oktober 1921: „HOCH DEKORIERT: EINER DER SCHICKSTEN WAGEN AUF DER AUSSTELLUNGâ. Trotz mancherlei Armutsgeschrei wurden auf der Berliner Automobilausstellung Autos ausgestellt, die von der teuersten Sorte waren. Der hier abgebildete ist mit einem Relief verziert und kostet 350.000 Reichsmark.
London, Dez.1921
„Jazz Karosserien. Der Motorjournalist in einer der Tageszeitungen, der viel ĂŒber Jazz-Karosserien bei der Olympia [Ausstellung in London] schrieb, offenbar ohne ĂŒberhaupt dort gewesen zu sein, hat sich einen ĂŒblen Witz erlaubt. Wir sind viel zu vernĂŒnftig, um uns auf so etwas Verkommenes [wie dessen Artikel] einzulassen, es sei denn, es handelt sich um reine Rennveranstaltungen, und dafĂŒr können wir dankbar sein. Andererseits liebt der Boche [Deutsche] einfach das Bizarre in der Karosserie und lackiert seine Autos nie in weniger als drei Farben, ganz zu schweigen von den seltsamsten und wundervollsten Formen, die er sich ausdenkt. Ich denke jedoch, dass die Grenze bei einem Vierzylinder-Mercedes mit Knight-Motor erreicht wurde, den ich vor kurzem im Londoner West End gesehen habe.
Er wurde, wie ich hörte, auf der Berliner Automobilausstellung ausgestellt, und ich bin sicher, dass alle groĂen und kleinen Fritz, Hans und Berthas vor ihm in die Knie gingen und ihn anbeteten. Was das Chassis betrifft, so ist es ein Mercedes, bis zur letzten Niete, und mehr gibt es nicht dazu zu sagen. Aber die Karosserie ist eine
Abscheulichkeit vor dem Herrn oder vor irgend sonst jemandem, was das betrifft. Sie ist aus poliertem Metall, und der KĂŒnstler, der nicht in der Lage war, eine solche FlĂ€che in Ruhe zu lassen, hat eine abscheuliche Verzierung eingraviert, geĂ€tzt, ziseliert oder anderweitig in sie eingesenkt. „Ein Muster, das so ekelhaft ist, dass es
Einem bei seinem Anblick ĂŒbel wird.“ Ein Muster, das so blumig, so ekelhaft norddeutsch-lloydisch, so krass, so bedeutungslos, so geschmacklos ist, dass es einer Badezimmerwand eine Schande machen wĂŒrde, und das will schon etwas heiĂen. Igitt! Wie können die so etwas tun? Jazz! Haben Sie nicht auch die Nase voll von diesem scheuĂlichen Wort? Irgendein VerrĂŒckter hat neulich empfohlen, GolfbĂ€lle mit Jazzfarben zu bemalen, und Sie haben sicher von dem Irren gehört, der eine Henne zum „Sitzen“ bringen wollte, indem er ihre Eier mit allen möglichen komischen Mustern und Farben bemalte. Nein! Nun, er hat dabei Geld verloren, denn sein empörter Hahn flog ĂŒber den Zaun und tötete den Pfau seines Nachbarn.“