Knight Rider
Über einen Mercedes aus der Zeit vor dem Zusammenschluss der beiden Marken gab es nur sehr, sehr wenig in den letzten Jahren zu lesen. Das will ich nun ändern und habe mir dazu ein Fahrzeug ausgesucht, welches allein durch seine ungewöhnliche Technik schon interessant ist. Der Mercedes-Benz Veteranen Club beschäftigt sich mit solchen Autos. Er steht am Anfang einer Entwicklung zum komfortablen Automobil. Gemeint ist der Mercedes-Knight (gesprochen Neit). Knight bedeutet Ritter oder ritterlich, in diesem Fall ist jedoch der amerikanische Herr Charles J. Ritter (nein, Knight natürlich) auf die Idee gekommen, einen Motor zu konstruieren, der zwar auf dem Otto‘schen Viertaktprinzip beruht, aber gänzlich ohne Ventile auskommt. Der Schiebermotor ist eine Ingenieursleistung, die es zu würdigen gilt, obwohl sie durch die Entwicklung der Fertigungtechnik überholt wurde. Seit 1910 hatte die Daimler Motoren Gesellschaft (DMG) die Lizenzrechte für den Bau von Schiebermotoren nach dem Patent von Charles J. (manche Quellen sprechen auch von Y. aber sein zweiter Name ist nicht mehr bekannt) Knight erworben. Bereits im gleichen Jahr hatte Paul Daimler den Motor so weit fortentwickelt, dass der ventillose Motor den Ansprüchen eines DMG-Erzeugnisses gerecht wurde und der Bau der Automobile mit diesem Antrieb konnte aufgenommen werden. Diese extrem kurze Zeit konnte erreicht werden, da die englische Tochtergesellschaft, das „Daimler Motor Syndicate Ltd.“ bereits seit Jahren solche Motoren anbot.
Alternative Antriebe
Der Motor, der wie gesagt ohne Ventile auskommen sollte, musste also die Koordination der Arbeitstakte entsprechend anders regeln. Dies geschieht durch die sogenannten Schieber oder auch Hülsen. Bei anderen Viertaktmotoren laufen die Kolben in Zylindern und Gemischzu- wie auch abfuhr werden durch Ventile geleistet. Beim Knight-Modell ist das ganz anders. Innerhalb der Zylinderwand laufen zwei Hülsenschieber ineinander, in deren inneren dann erst der Kolben seinen Dienst versieht. Alle drei vertikal beweglichen Teile werden zwar abhängig voneinander, aber nicht gleich bewegt. Der Gemischeinlass wird dadurch gewährleistet, dass sich Bohrungen in der Zylinderwand, der äußeren und inneren Hülse begegnen. Der Auslass funktioniert auf die gleiche Weise, nur zu einem anderen Zeitpunkt. Der Vorteil, der sich dadurch bietet, liegt für einen Laien wie mich nicht ganz klar auf der Hand. Erst nach einem erläuternden Gespräch mit einem Ingenieur kam ich hinter das Geheimnis.
Jedem Metallbe- und verarbeiter sind metallische Klappergeräusche ein Greuel. Ventile, die von einer Nockenwelle angetrieben werden, verursachen aber eben diese. Heute hat man dieses Problem weitestgehend in den Griff bekommen. Aber zu Anfang der automobilen Entwicklung gab es noch keine computergestützten Verfahren zur Herstellung von präzisen Nockenwellen, geschweige von der Möglichkeit eine Verbrennung im Motorinneren genau vorauszuberechnen. Außerdem waren die Materialgüten bei weitem noch ungenügend. Um 1910 benötigte ein guter Arbeiter rund eine Woche, um aus einem Vierkantstab eine funktionsfähige Nockenwelle zu erstellen. Funktionsfähig heißt dabei, dass sie auf fünf Zehntel genau war. Bereits zehn Jahre später waren die Fertigungsmethoden schon auf Hundertstel genau. Aber anfangs ging es halt nicht so gut und damit liefen die Motoren mit Ventilen einfach metallisch sehr hart. Das war die Triebfeder für viele Ingenieure, eine neue Methode für die Befüllung und Entleerung der Zylinder zu finden. Viele Wege wurden beschritten, aber der des Charles Knight schien in seinen Grundzügen der beste zu sein. Die Überschneidungen der Bohrungen in den Hülsen sind so lang, dass sich der Brennraum sehr gut mit
Gemisch füllen kann. Der Arbeitstakt des Langbubers ist dabei jedoch mit einer Spitzendrehzahl von deutlich unter 2000 Umdrehungen pro Minute, so langsam, dass die Steuerwellen der Schieber längst nicht so exakt sein mussten, wie es bei einem gleich starken Ventilmotor nötig gewesen wäre. Trotzdem war die Herstellung eines solchen Triebwerkes kein „billiges Vergnügen“. Die besondere Schwierigkeit nämlich, die dem Knightschem-System zu eigen ist, besteht in der Kühlung und Schmierung der Hülsen und des Kolbens. Paul Daimler, seit 1907 als Nachfolger Wilhelm Maybachs mit der technischen Direktion betraut, fand jedoch eine praktikable Lösung. Er ließ die äußeren Hülsen nicht nur an ihren Ein- und Auslaß punkten durchbohren sondern auch eine Vielzahl häufiger und kleiner am unteren Ende. Die inneren Hülsen wurden außerdem auf ihrer Außenseite mit vielen Ölleitkanälen ziseliert. Das Problem der Schmierung war damit teilweise gelöst. Das Öl konnte nun durch Löcher in der Zylinderwand und durch die Bohrungen in der äußeren Hülse gepresst und somit die Schmierung gewährleistet werden.
Gute Kritiken
Der Aufwand hat sich, nach Meinung der damaligen Spezialisten gelohnt: „Der Schieber-Motor zeichnet sich aufgrund seiner Konstruktion und der niedrigen Drehzahl durch eine enorme Laufruhe aus.“
Zu seiner Zeit wurde der Motor noch starr und fest mit dem Rahmen verschraubt. Trotzdem waren bei diesem Motortyp von Rahmenbrüchen und zerrappelten Karosserien nie die Rede. War der Antrieb schon sehr modern, so spielte dies augenfällig bei der Verzögerungseinrichtung eine untergeordnete Rolle. Man kaufte schließlich ein Fahr- und kein Bremszeug. Die Fußbremse schleift rein mechanisch ein Lederband um die Kardanwelle und soll damif den knapp zwei Tonnen schweren Koloss zum stehen bringen. Die Handbremse hält, zwar über Bremstrommeln, aber auch nur die hinteren Räder fest. Kurioserweise hatte die Daimler Motoren Gesellschaft im Vergleich nur rund zwei Drittel des Produktionsausstoßes von Benz in der Zeit um den Weltkrieg, den man später den ersten nennen sollte. Prominente Käufer gab es bei beiden Firmen. So schwor Prinz Heinrich von Preußen auf seine, extra für ihn hergestellten und nach ihm benannten, Benz-Wagen, während Kaiser Wilhelm der II. gerne in seinem Mercedes Knight chauffiert wurde. Und auch der Zar von Russland bevorzugte die Mercedes-Knight Modelle.
Süd Amerika
Untypisch für ein Fahrzeug ist es, fest bestellt zu sein, danach ein halbes Jahr mehr oder weniger benutzt zu werden, ins Werk zurück zu gehen, und anschließend nochmals mit Komissionsbucheintrag verkauft zu werden. So geschen ist es mit dem Mercedes Knight-Cardanwagen 16/40 P5 von 1912, von dem die neueren Bilder stammen. Er wurde am 27.07.1912 von der Firma Robert & Co. in Frankfurt am Main bestellt. Die Auslieferung laut Papieren fand am 22.11.1912 per Bahnfracht Frankfurt statt. Im März 1913 taucht die Commissionsnummer 12953 aber erneut in den Büchern der Auftragsabwicklung auf. Gleiche Motor-und Wagennummem wie bei dem bereits 1912 ausgelieferten Wagen lassen keinen anderen Schluss zu: Dieser Wagen hat den Weg ins Mutterhaus noch einmal gefunden. Die zweite Ablieferung erfolgte ab Werk am fünften diesen Monats in Richtung Süd Amerika. Der argentinische Importeur Werner, Hilpert & Cia. hatte seinem Kunden, einem Kakao-Plantagenbesitzer, wohl dieses Fahrzeug schmackhaft gemacht. Obwohl er nicht über elektrische Annehmlichkeiten wie strombetriebene Lampen und Leuchten, Anlasser oder ähnliches verfügt, sind all diese Details bereits vorgesehen. Die Getriebeglocke zeigt deutlich die Möglichkeit einen Durchbruch zu erstellen und einen Starter seinen Dienst versehen zu lassen. Wahrscheinlich aber auf Grund der damals noch recht mangelhaften Akkumulatoren und der dürftigen Versorgung mit Ersatzteilen für derlei „Spielereien“ ‚ insbesondere in größerer Entfernung zu Rio de Janeiro, wurde auf dieses Angebot bewusst verzichtet. Mehrere Jahrzehnte versah der Mercedes 16/40 P5 dort seinen Dienst, wurde immer gepflegt und zum Glück nicht mit irgendwelchen haarsträubenden Methoden umgebaut. Ende der 80er Jahre stand dies Vehikel dann auch wieder in Rio zum Verkauf. Nun ist es jedoch so, dass in Schwellenländern eher Alltagstaugliche, stark belastbare Fahrzeuge gefragt sind und waren. Dem Reiz der historischen Technik wird dort noch nicht der gebührende Respekt gezollt. Schließlich wurde dieser Wagen bei einer Versteigerung in England eingeliefert. Hier erwartete man mehr lnteressenten. Die Rechnung ging auf. Ein leidenschaftlicher Fan erwarb den Knight und brachte ihn nach Deutschland. Im Ruhrgebiet, wo der Fahrzeugbetrieb Lueg bereits seit alters her mit Karosserien von Mercedes zu tun hatte, wurde die Außenhaut und das lnterieur milde aufgefrischt. Nach geraumer Zeit bekam der ehemalige Ersteigerer ein Angebot auf dieses Fahrzeug, das er nicht ablehnen konnte. Der Wagen wechselte den Besitzer und sollte nun auch wieder richtig im Straßeneinsatz seinen Dienst tun. Eigentlich kein Problem, nachdem die Zündung endlich richtig eingestellt und diverse Problemchen behoben waren.
Das Gefährt wurde in seiner neuen Heimat auch im Bergischen und mit Serpentinen getestet. Ein Freund des Besitzers, ein Kfz-Mechaniker, der seine Lehre in der frühen Nachkriegszeit begonnen hatte, war jedoch mit den plötzlichen Leistungssteigerungen nicht vorbehaltlos zufrieden. „Der läuft mir ein bißchen zu gut! Das dicke Ende kommt noch, wart’s nur ab.“ sagte er und sollte recht behalten. Bei der Demontage des Motors wurde festgestellt, dass veschiedene Schieber bereits arg gelitten hatten und nach Ersatz verlangten. Nun ist ein solcher Ersatz nicht an jeder Ecke zu finden und so musste ein Motorenbauer ausfindig gemacht werden, der mit Schiffsmotoren nach dem gleichen Prinzip arbeitet, was auch gelang. Noch rabiater war jedoch die Reparatur, die offensichtlich noch jenseits des Aquators an den Lagerschalen durchgeführt worden war.
Die Lager hatten Spiel gehabt und statt dass neue Weißmetall-Lager gegossen wurden, nahm man sogenanntes „Etikettenblech“ (wird bei der Eisenbahn benutz um Container zu kennzeichnen) und legte dies, zurechtgeschnitten, unter die Lagerschalen. Neu einschleifen und fertig ist die Motorüberholung. Leider nur nicht von Dauer. Aber auch diese Aufgabe wurde bewältigt und seitdem ist der Knight bei vielen Ausfahrten und Veranstaltungen zu sehen. Eine Augenweide für Freunde von Messing und Maschinenbau…