Der „Flügel auf Rädern“ kehrt zurück: Tüftler aus Störy bauen legendären Schlörwagen nach
Von Michael Vollmer - Hildesheimer Allgemeine Zeitung - 6.2.2021
Alfeld/Wehmingen. Der Alfelder Tischlermeister Bernd Viering hat seinen Job erledigt. Aus Kiefernholz hat der 56-Jährige in den vergangenen Wochen im Maßstab 1:10 ein Modell vom Schlörwagen gefertigt, der auch als „Göttinger Ei“ einst für Furore sorgte. Vor etwa zehn Jahren fertigte Viering bereits ein Modell des legendären Hanomag-Weltrekorddiesels. Seine Arbeit war damals wie jetzt der Startschuss für einen Nachbau, bei dem überwiegend Originalteile zum Einsatz kommen.
Nun ist der Verein Mobile Welten am Zug, der seinen Sitz auf dem Gelände des Hannoverschen Straßenbahnmuseums in Sehnde-Wehmingen hat. Die Mitstreiter um den Vorsitzenden Bernd Lange haben sich
in nächster Zeit vorgenommen, einen Meilenstein der Technikgeschichte wieder in den Fokus zu rücken. Schließlich galt das bei der Essener Firma Ludewig 1938 karossierte Fahrzeug lange als konsequenteste Umsetzung der Aerodynamik. „Er war quasi ein Flügel auf Rädern“, sagt Andreas Dillmann vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in Göttingen.
Als Fahrgestell entschied sich Karl Schlör für einen Mercedes 170 H (W28). Den Auftrag für die Karosserie bekamen die Gebrüder Ludewig, da das Unternehmen schon über eine gewisse Erfahrung mit Stromlinienaufbauten verfügte. Anfang 1939 konnte der fertige Wagen zur IAA auf der Avus in Berlin vorgestellt werden. Während des Zweiten Weltkriegs blieb der Schlörwagen zunächst eingemottet. Da es Schlör selbst zum Militärdienst nach Riga verschlagen hatte, wo er für die Wehrmacht Motorschlitten entwickelte, brachte er bei einem Heimaturlaub einen russischen Sternmotor mit nach Göttingen, der versuchsweise im Heck des Wagens montiert wurde. Weitere Tests fanden damit aber nicht statt.
Sowohl in Bad Homburg als auch in Wehmingen hat man sich schon mit vergleichbaren Projekten befasst. Im engen Austausch wollen beide Teams das Projekt vorantreiben und dabei ihre Erfahrungen gemeinsam nutzen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Göttingen unterstützt das Projekt durch die Bereitstellung der Original-Konstruktionszeichnungen und historischer Bilder. Aktuell wird an den Fahrgestellen gearbeitet, wo insbesondere der seinerzeit schon abgeänderte Rahmenkopf eine erste Herausforderung darstellt. Ein Mercedes-Motor steht bereits vor dem ersten Probelauf, ein zweiter Motor wird noch gesucht, ein weiteres ziemlich lädiertes Getriebe soll noch von Spezialisten wieder auf Vordermann gebracht werden.
Die meiste Zeit nimmt aber sicherlich die Karosserie in Anspruch. Trotz der zahlreichen vorhandenen Fotos und Zeichnungen dürfte es nicht so leicht sein, sie originalgetreu nachzubauen. „Aber dennoch ist es spannend und spektakulär zugleich“, betont Mitstreiter Horst-Dieter Görg. Bei der Finanzierung des Projektes setzt der Verein auch auf Spenden. Trotz der Eigenleistung kommt wie beim Hanomag-Nachbau unter dem Strich schnell ein sechsstelliger Betrag zusammen.
Das Modell für den Schlörwagen hat er hauptsächlich nach einer Zeichnung und Fotos gestaltet. Nach dem Zuschneiden des Holzblockes ging es mit dem Stecheisen ans Werk. „Ich habe mich langsam per Hand an die Form herangetastet“, erklärt der Fachmann. Wer das Projekt unterstützen möchte, findet im Internet unter www.mobilewelten.eu weitere Informationen.
Noch mehr zum Schlör-Wagen:
Aus der Clubzeitung: Das Göttinger Ei – der Schlör-Wagen