Sonderausstellung zu 130 Jahren Elektromobilität

33 Exponate zeigen erstmalig die gesamte Evolutionsgeschichte von Stromfahrzeugen

Das Thema ist brandaktuell – und doch eines der ältesten in der Automobilgeschichte. Schon lange vor dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten einige Visionäre funktionstüchtige Fahrzeuge mit Elektromotor. Seit einigen Jahren gewinnt nun diese Antriebsart wieder an Bedeutung; Hybrid- und Elektrofahrzeuge werden als zukunftsträchtige Fortbewegungsmittel gehandelt. Der PS.SPEICHER in Einbeck bildet ab dem 15. April 2018 die Entwicklung dieser Antriebsarten anhand von 33 außergewöhnlichen Exponaten ab. Die Erlebnisausstellung im Süden Niedersachsens präsentiert damit vermutlich erstmalig überhaupt die gesamte Evolutionsgeschichte stromgetriebener Fahrzeuge – und das mit seltenen, skurrilen und teils nahezu unbekannten Zwei-, Drei- und Vierrädern.

Die Geburtsstunde des ältesten ausgestellten Elektrofahrzeugs liegt dabei bereits 130 Jahre zurück: im Jahr 1888 baute die Maschinenfabrik A. Flocken in Coburg den Flocken Elektrowagen – nachdem 1882 schon in London ein erstes Elektrodreirad über die Queen Victoria Street gesaust war. Bis dahin war in Deutschland ein Elektroauto mit akzeptabler Reichweite nicht zu realisieren, da die entsprechende Batterietechnologie fehlte. Ab Mai 1888 bot die Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller oHG in Hagen Blei-Akkus mit entsprechender Energiedichte an. Der nur 450 Kilogramm – davon etwa 100 Kilogramm Akkugewicht – leichte „Flocken Phaeton“ war eine Chaise, ein viersitziger Kutschwagen mit hohen Rädern. Die Kraftübertragung des Elektromotors auf die Hinterachse erfolgte per Lederriemen.

Die Sonderschau des PS.SPEICHER führt ihre Besucher zunächst zurück in die Zeit der Pioniere, in der Autofahren noch ein großes Abenteuer war. In eine Ära, in der sich viele Hersteller tummelten und unterschiedliche Antriebe – von Benzinautomobilen über Dampfwagen bis hin zu Elektrofahrzeugen – anboten und in starkem Wettbewerb untereinander und zu den bewährten Pferdefuhrwerken standen. Benzinautos startete man mit einer Kurbel durch Muskelkraft. Mit den damals noch unsynchronisierten Getrieben war dies ein Geschicklichkeitsspiel. Dampfautos benötigten eine lange Vorheizzeit und häufiges Auffüllen von Wasser. Elektroautos waren vergleichsweise leicht zu bedienen. Doch die geringen Reichweiten, die schweren Akkus und die langen Standzeiten zum Aufladen der Batterien – oft länger als einen Tag – galten auch damals als wesentliche Nachteile dieser Antriebsart.

Das Bild zeigt die historische Fahrt eines Detroit Electric von Seattle zum Mount Rainier im Jahr 1919. Quelle: Library of Congress (Vereinigte Staaten von Amerika)
Bildrechte: ©Kulturstiftung Kornhaus

Im Jahr 1912 erlangte der elektrische Starter seine Serienreife und beförderte damit indirekt den E-Motor ins Aus. Nun konnten viele Motoren auf Knopfdruck angelassen werden und mussten nicht mehr umständlich angekurbelt werden. Tankstellennetze baute man in rasantem Tempo aus. Nachdem sich der Verbrennungsmotor als praktikablere Antriebsart durchgesetzt hatte, sah man Elektro-PKW fortan eher selten auf den Straßen. Ein Detroit Electric aus der Sammlung des PS.SPEICHER aus dem Jahr 1915 repräsentiert daher den vorerst letzten alltagstauglichen, mit Strom betriebenen Personenwagen der automobilen Frühzeit. Interessant bei diesem Fahrzeug ist seine individuelle Historie: Er wurde noch bis in die 1970er Jahre als Alltagsfahrzeug einer älteren Dame im New Yorker Straßenverkehr genutzt.

Die Elektromobilität beschränkte sich ab den 1920er Jahren eher auf die Sparten „öffentliche Verkehrsmittel“ und „Nutzfahrzeuge“. Ein Hansa Lloyd Lastwagen aus dem Jahr 1923 und ein Brot-Lieferwagen der Wittler-Brotfabrik in Berlin als weitere Exponate belegen, dass der Elektroantrieb für den Stadtbetrieb kein Problem darstellte. Den Brot-Transporter ließ die Firma Wittler insgesamt 10 mal bauen und nutzte ihn auch gleich als Werbeträger: „Wittler-Brot …regelmäßig essen!“ Zuvor gehörten noch einige hundert Pferde zum Fuhrpark der Großbäckerei. Der Wittler-Brotwagen, ein elektrisch angetriebener Lieferwagen der Maschinenfabrik Esslingen, steht für die in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts eintretende technische Umbruchphase. 1942 als Produkt der Kriegswirtschaft gebaut, war der Wagen ein Zeuge der Zeit, in der die Einsparung von importierten Rohstoffen essentiell war.

Aufbau der Sonderausstellung „Unter Strom“ in der PS.Halle am PS.SPEICHER.
Bildrechte: ©Kulturstiftung Kornhaus

Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung der Elektromobilität ist der Sebring-Vanguard Citistar, der von 1974 bis 1977 in Florida gebaut wurde. Nach dem Verkauf der Pläne im Jahr 1979 produzierte man unter dem Namen Comuta-Cars und -Vans eine verbesserte Version des ersten Citistars. Mit 4.444 gefertigten Exemplaren hielt das kleine, kantige Gefährt noch bis ins Jahr 2011 (dann kam der Tesla Roadster) den Rekord des meistverkauften Elektroautos in den USA. Auch die U.S. Mail lieferte die Post mittels des dafür extra mit Rechtslenkern versehenen Comuta-Vans aus.

Doch Kleinstwagen, Nutzfahrzeuge und PKW allein werden einer vollständigen Abbildung der Geschichte der Elektromobilität nicht gerecht. Elektro-Motorräder wie eine ‚Johammer‘, Elektro-Roller, -Mofa oder -Mokick sowie E-Fahrräder oder Pedelecs gehören selbstverständlich dazu.

Mit einem Streetscooter Work und aktuellen Elektrofahrzeugen schlägt der PS.SPEICHER eine Brücke zur Gegenwart. Zudem wird auf das Thema Fahren in der Zukunft verwiesen. Autonomes Fahren, vernetzte Autos oder der Wasserstoffantrieb sind keine Zukunftsmusik mehr, sondern die technischen Innovation stehen in den Startlöchern. „Die Räder, die uns bewegen – sie stehen vor einem grundlegenden Wandel. Dabei spielt nicht nur die Elektrifizierung der Antriebe eine große Rolle, sondern auch Vieles, was sich hinter dem Begriff Digitalisierung verbirgt. Im PS.SPEICHER haben wir die Möglichkeit, unseren Besucherinnen und Besuchern die Fülle an Visionen und Ideen vorzustellen. Eine Bewertung ist nicht unser Ziel, sondern vielmehr das sachliche Aufzeigen zukünftiger Herausforderungen und Chancen“, meint PS.SPEICHER-Geschäftsführer Lothar Meyer-Mertel.

Aufbau der Sonderausstellung „Unter Strom“ in der PS.Halle am PS.SPEICHER.
Bildrechte: ©Kulturstiftung Kornhaus

Selbst technische Themen, wie die Batterietechnologie, Sense and Avoid-Technologien und zukünftige Mobilitätsvisionen wie beispielsweise von Elon Musk und Richard Branson, von der ZF Friedrichshafen AG und sogar dem Luftfahrtunternehmen Airbus dokumentiert die Ausstellung „Unter Strom“ unterhaltsam und tiefgründig. Ein besonderes Projekt für solch zukunftsweisende Technologien in der E-Mobilität zeigt die Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Göttingen. Als visionäres Abschlussexponat der Sonderausstellung findet sich in der PS.Halle der Formula Student Rennwagen ‚Blue Flash‘ aus dem Jahr 2017.
Das Rahmenprogramm zu „UNTER STROM“ sieht – über den Sommer verteilt – zahlreiche Vorträge und Veranstaltungen in der PS.Halle zum Thema Elektromobilität vor. Termine und Inhalte werden zeitnah bekannt gegeben. Bei der Ausgestaltung der Ausstellung greift der PS.SPEICHER nicht nur auf die „Stromer“ aus den eigenen PS.Depots zurück. Bereitwillig haben unter anderem Volkswagen, Audi Tradition, KTM Freeride E-XC und die österreichische Elektro-Motorradschmiede Johammer ihre Schatzkammern geöffnet und unterstützen den PS.SPEICHER bei dieser Ausstellung. Ideell wird die Ausstellung zudem von der Metropolregion Hannover Braunschweig Wolfsburg Göttingen unterstützt. Sie läuft voraussichtlich bis Ende 2018.

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